Kronenzeitung, Wien – 23. August 1998
Kronenzeitung, Wien, 1998
BILDER EINER SCHRECKLICHEN GEWISSHEIT
In den siebziger Jahren hat der Maler Gottfried Helnwein mit seinen Bildern von gequälten, mißbrauchten Kindern ein Tabu gebrochen. Die Bilder schockieren noch immer, obgleich wir hier nur Porträts ausgewählt haben. Sie tun dennoch weh. Sie machen den wirklichen Schmerz vorstellbar: den Schmerz der gequälten und mißbrauchten Kinder.
Man müßte von diesen Menschen Bilder zeigen. Fotos in den Zeitungen, im Fernsehen, im Internet. Warum zeigt man von diesen Menschen keine Bilder, fragt Gottfried Helnwein. Von allen Menschen zeigt man Bilder. Nur von diesen Menschen nicht.
Die Kinderschänder. Geschützt, diskret behandelt. Milde bestraft. Sie kommen so leicht und so billig und anonym davon. Warum.
Schlecht wird den Leuten. Von der Wirklichkeit, nicht von den Bildern
Das Thema ist kein Tabu mehr. Viel mehr Anzeigen als früher. Viel mehr Empörung. Viel mehr Schlagzeilen. Baby-Pornos im Internet. Bestialische Details. Adressen von Käufern. Diskrete Amtshandlungen. Warum so diskret.
Die Bilder von Gottfried Helnwein. Das Thema, das ihn immer beschäftigt hat: Gewalt gegen Kinder. Mißbrauch von Kindern. In den siebziger Jahren wurde den Leuten schlecht von den Bildern. So grausam. Jetzt wird den Leuten schlecht von den Nachrichten. Wirklichkeit. Wirklich grausam.
Das hat Helnwein immer beschäftigt: Grausamkeit; menschliche. Grausamste Grausamkeit: an Kindern. Die sind so verletzlich. Die sind auf Fairneß am meisten angewiesen.
Keine autobiografischen Anhaltspunkte. Neugier auf das Wesen des Menschen: das Kind Helnwein, das so viele Fragen stellte und keine Antworten bekam. Der junge Helnwein; spätgeboren. Nicht den Krieg verstanden und erst recht nicht, warum Opfer auch noch verhöhnt wurden. Gewalt, eine Kette in der Menschheitskette. Und an der schwächsten Stelle die gemeinste Gewalt: gegen Kinder.
Alltagsgewalt. Die riesengroße Hand, die in ein kleines Gesicht knallt. Das riesengroße Gesicht, im Hohn der Übermacht. Angst machen: die Kinder, deren große Seelen klein und kaputt wurden vor Angst. Die Frauen, geschlagen, die ihre Kinder schlagen. Und diese Männer, allmächtig über Leben und Tod eines Kindes: der dreckigste Sex der Welt. Sex mit Babys. Schlagzeilen dieses Sommers. Schon fast wieder vergessen. Alltag geht weiter. Die alltäglichste Gewalt auch.
Im Süden, wo er lange lebte, ist es besser, sagt der Maler Helnwein. Die Kinder haben es besser dort. Überall. Im Restaurant und am Strand und daheim und auf der Gasse. Ihr Sein, eine wunderbare kreischende, nervende, lachende Selbstverständlichkeit. Alltäglich.
In Deutschland, in Osterreich hat Helnwein das anders erlebt. Weniger Lachen, mehr Watschen. Weniger Phantasie, mehr Gehorsam. Und dieses Besitzdenken. Kinder als Besitz. Mit ihnen tun, was man will. Meistens gutgemeint. Die Grenzen fließend. Der grausame alte Satz, von einer Generation in die nächste hineingeprügelt: Wer sein Kind liebt, züchtigt es.
Hände rutschen nicht einfach aus. Hände zielen in winzige Gesichter
Verschwommene Grenzen zwischen Liebe und Gewalt. Das Kind als persönliches Eigentum. Das Kind als Ware. Objekt. Opfer.
Die Helnweins haben vier Kinder. Nie haben sie eine Hand gegen ein Kind erhoben. Nie die Hand ausrutschen lassen. Hände rutschen nicht einfach aus. Hände rutschen nur aus, wenn man vergißt, wie wehrlos Kinder sind.
Helnweins Bilder tun weh. Bilder einer schrecklichen Gewißheit. Manche sind kaum zu ertragen. Helnweins Bilder sagen, wie weh das den Kindern tut. Wenn man ihnen Angst macht. Wenn man sie schlägt. Wenn sie mißbraucht werden. Die Seelen getötet, manchmal auch die Körper. Mich wundert, daß die Täter so geschützt werden, sagt Helnwein. Mich wundert, daß man ihre Gesichter nicht zeigt. Mich wundert, daß die sich verstecken dürfen. Mich wundert, daß die so milde bestraft werden. Hört man die Schreie der Kinder nicht?
Gottfried Helnwein
www.helnwein.de/home/home/home.html
23.Aug.1998 Kronenzeitung Marga Swoboda