Deutschlandradio, Kulturzeit - 9.05 Uhr – 30. September 1997
Deutschlandradio, Kulturzeit - 9.05 Uhr, 1997
47. BERLINER FESTWOCHEN, HAMLETMASCHINE VON HEINER MÜLLER IN DER BERLINER ARENA
Ich hätte gern diese Vorstellung verlassen,...
Vor Jahren war Robert Wilson mit seiner Interpretation der HAMLETMASCHINE zu den Berliner Festwochen eingeladen.
Wilson bezwang den Text durch überstilisierten Ästhetizismus. Die Kritik feierte seinen Formalismus und sein Lichtdesign. Das Westberliner Schaubühnenpublikum (die Mauer stand damals noch) war begeistert von Wilsons gestylten Standbildern und seinem designten Licht. Den Urschrei in der HAMLETMASCHINE verspürte keiner. Diese HAMLETMASCHINE beunruhigte keinen. Fastfood für Intellektuelle, ohne Kanten und Tiefe, ohne die Wut des Autors.
Ein schöngeistiger Event, ohne den zerrissenen Background der Entstehungsgeschichte, ohne den "Ruf nach mehr Freiheit" aus dem "der Schrei nach dem Sturz der Regierung wird". Das beruhigende dieser HAMLETMASCHINE war, daß sie nichts wollte, außer anders sein.
Nun wieder HAMLETMASCHINE; die Mauer gibt es nicht mehr, die Berliner Festwochen immer noch, Robert Wilson ist Weltstar geworden und noch harmloser als er schon immer war.
Schon im Vorfeld löste diese Münchner Produktion Unruhe und Bewegung aus.
Grund war ein Bild, "Epiphanie", des Wiener "Blut und Schockmalers" Gottfried Helnwein, Teil seines Bühnenbildes für die Münchner HAMLETMASCHINE.
Die Witwe eines auf dem Helnwein-Gemälde abgebildeten SS-Offiziers versuchte in München gegen das Bild eine einstweilige Verfügung zu erwirken, der nicht stattgegeben wurde. Aufgrund von verschiedenen Bürgerinitiativen in Berlin verboten die "Berliner Festwochen" eines der beiden Plakate von Gottfried Helnwein um ihr "Highlight" HAMLETMASCHINE "nicht zu gefährden".
Auf dem Plakat ist das Opfer einer Gewalttat zu sehen, ein 10-jähriges Mädchen.
Noch bevor die Inszenierung in Berlin zu sehen war beschäftigten sich Medien, Bürger, Politiker und Rechtsanwälte damit.
Hauptinitiator dieser Münchner Höllenmaschine ist der Berliner Regisseur Gert Hof. Er wählte für den Gastspielort kein festspielerprobtes Staatstheater, sondern entschied sich für die legendäre Berliner Stahlhalle ARENA, ein ehemaliges Busdepot in Treptow, 7000 Quadratmeter groß. Kein unbekannter Ort für Regisseur Gert Hof, hier inszenierte er im September vergangen Jahres mit der momentan spektakulärsten deutschen Band RAMMSTEIN, "100 Jahre Rammstein". Diese RAMMSTEIN Performance endete in einem Inferno, ein fünf Meter langes brennendes Stahlsegment stürzte in Menge.
Hof fährt schweres Gerät für seine HAMLETMASCHINE auf: das französische Stahlgewitter, LES TAMBOURS DU BRONX, den dunkelsten und lautesten Kultgitarristen Deutschlands CASPAR BRÖTZMANN, die skandalsichere Popikone GOTTFRIED HELNWEIN und den Film- und Fernsehfinsterling RALF RICHTER als Hamlet. Hof gilt in der Theaterwelt als kompromissloser Zertrümmerer, ein Grenzgänger zwischen Theater und Rock and Roll. Hof und Helnwein, die seit einiger Zeit zusammenarbeiten, haben einen gemeinsamen Nenner gegen das Publikum gefunden: Krieg.
Hof hat Wilson gegenüber einen großen Vorteil, oder ist es ein Nachteil? Er stammt aus der DDR, ist von der Unterdrückungsmaschine einer Diktatur stigmatisiert und lebte in der Landschaft der HAMLETMASCHINE, er kennt die Waffen der Macht.
Der als unspielbar geltende abstrakt-philophische Text von Müller wird in Hofs Inszenierung zur Abrechnung mit einer Diktatur. Der Anarchist Hamlet wird von einer Gesellschaft gefügig gemacht. Das Instrumentarium der Gesellschaft wird gezeigt: Gewalt, Angst, Verrat, Psychiatrie, Gefängnis - Faschismus. Spätestens fünf Minuten nach beginn der Vorstellung, weiß man, daß man sich mitten in einem "Alptraum befindet der wie eine Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist", wie Hof seine Inszenierung beschreibt, aber nicht im Theater. Die Bühne von Helnwein ist keine Bühne, sie ist Architektur aus Stahl, eine Kreuzung aus Gefängnis und einem Panzerkreuzer.
Ein Kind (Maria Denninghaus) zieht aus dem Dunkel eine Leiche. Wie zu einer Andacht kniet das Mädchen vor ihrem toten Erzeuger und zelebriert voller Unschuld Hamlets Text. Mit einem hypnotischen Schrei, aus Glas und Verzweiflung, läßt sie den toten Vater in Flammen aufgehen und entfacht die französische Gewaltmaschine LES TAMBOURS DU BRONX .Vierzehn Höllenmaschinen schlagen auf vierzehn Ölfässer ein, die dazu noch elektronisch verstärkt sind, der Maschinenraum eines großen Überseefrachters ist dagegen leise Barmusik.
Das muß man sich nicht bieten lassen, daß ist ein Frontalangriff gegen das menschliche Gehör, das ist nicht Theater, das ist Krieg. Doch nicht genug, zu dem Stahlgewitter der Tonnenschläger kommt der Heizer dieses Höllenhauses, CASPAR BRÖTZMANN, kein Gitarrist im üblichen Sinne, eher eine musikalische Tötungsmaschine. Hof hat in einem Interview ein "Protokoll aus dem Heizhaus der Hölle" versprochen, daß hat er leider wahr gemacht. Dazu setzt Hof Batterien von Scheinwerfern ein, die an ein militärisches Manöver erinnern, aber nicht an Theater. Das hat nichts mehr mit einer Publikumsprovokation, wie wir sie aus dem Hause Castorf kennen zu tun - Hof und Helnwein proben den Ernstfall. Die Mittel, die Hof und Helnwein einsetzen, haben nichts mehr mit Kunst zu tun, es sind Waffen die gegen das Publikum gerichtet sind. Eine Faszination der man sich entziehen muß.
Hof brennt in die Dunkelheit hypnotische Schreckensbilder aus Licht und das wird neben der Musik zum wichtigsten dramaturgischen Mittel der Inszenierung. Hof und Helnwein verwandeln die Berliner Arena in einen Kriegsschauplatz.
Zurück. Hamlet im Gefängnis. Horatio (Gunther Seidler), der Überläufer, der Verräter demonstriert dem ehemaligen Freund das Instrumentarium der Macht und die Manipulierbarkeit des Menschen. Er läßt Hamlet seine eigene Mutter abschlachten, ein schauriges Blutbad, Hamlet wird zum Fleischer.
Ein überdimensionales blindes Auge, von Helnwein gemalt, in Stahl gerahmt beherrscht, die Szene. "Das Europa der Frau", eine offene Wunde in blutrotem Licht. Der Mezzosopran von Ophelia (Claudia Denninghaus), der Klageschrei eines ohnmächtigen Opfers wird mit den TAMBOURS DU BRONX und CASPAR BRÖTZMANN zum verzweifelten Schrei eines Tieres, zu einer schwarzen Messe mit blutigen Atem.
DIE UNIVERSITÄT DER TOTEN, wird zum lautesten und schrecklichsten Bild der Inszenierung. Von dem französischen Stahlkommando wird eine 15 Meter lange und 6 Meter breite Mauer zerhackt, aus den zerschlagenen Löchern fließt Monumentallicht, wie aus einem Stahlofen der flüssige Stahl, auf das Publikum. Gewalt wird in seiner elementarsten Form demonstriert, eine Industriesymphonie, die alle menschlichen Sinne zerstört, abstoßend und hypnotisch zugleich. Eine Demonstration der Macht. Hamlets letzte Vision, "wenn mein Drama doch stattfinden würde", wird zu einer Straßenschlacht, einem bedingungslosen Aufruf zum Sturz der Regierung, ein Plädoyer für die Anarchie. Stadionatmosphäre, ein Schlachtfeld aus Licht - ein Leni Riefenstahl Szenario.
Die Vision erstarrt sekundenschnell wieder in die Realität der Gefängniszelle, zu Hamlets Schlachthaus.
Hamlets Hinrichtung wird zu einem Triumph der Macht. Zehn Meter über dem Publikum hängend schreit Hamlet voller Todesangst "Ich bin nicht Hamlet. Ich will eine Maschine sein." Richters Hamlet ist eine Kreuzung aus Baal und Woyzeck, ein wildes Tier, angeschossen, zum Freiwild erklärt. Richter setzt keine Theatermittel ein, die sind ihm fremd, er setzt sich ein, ohne Schonung. Richter wird unter der Regie von Hof zur unberechenbaren Waffe. Wenn Hamlet kurz vor dem Tod, dem ehemaligen Freund Horatio, dem Verräter die Stiefel leckt ist seine Persönlichkeit zerbrochen. Hamlet - Richter wird zur angepassten Mensch-Maschine.
Ein letztes Mal treibt Hof seine Zertrümmermaschine aus Licht und Musik in die Grenzbereiche des Schmerzes und der Hypnose. Endlich. Und nun Stille nach diesem magisch brennenden Totentanz. Unendliche Stille.
Vier hochbrennende Opferflammen schneiden aus der Dunkelheit das spektakuläre Großgemälde von Helnwein "Epiphanie" heraus. Grausame Stille. Die Madonna mit dem Neugeborenen im Kreis von hohen SS-Offizieren: Inspektion. Eine erschreckende Zukunftsvision, ohne Hoffnung. Eine Landschaft aus Stille, die kaum zu ertragen ist, wie der dröhnende Lärm.
Helnwein "Epiphanie I"
www.helnwein.org/werke/leinwand/group7/image293.html
Ein Mädchen betritt die Opferstätte, betrachtet das Bild. Stille, unerträgliche Stille. Ihre hauchdünne Stimme bringt noch mehr Stille: "Im Herzen der Finsternis. Unter der Sonne der Folter. An die Metropolen der Welt. lm Namen der Opfer". Währenddessen zieht sich das Mädchen aus, die Schuhe, das Kleid..., wenn sie nackt vor dem Bild steht, nur mit den Flammen des Feuers bekleidet hören wir ihre letzte Warnung: "Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer gehen, werdet ihr die Wahrheit wissen."
Stille, beklemmende Stille, peinliche Stille. Dunkelste Vergangenheit zerschmilzt zur Gegenwart. Mit den grauenvollen Assoziationen werden wir allein gelassen, entlassen nach draußen, ins Heute, ins Schweigen. Und Schluß.
Eines ist sicher, mit Theater hat das alles nichts mehr zu tun. Ein unzulässiger Angriff auf die menschlichen Sinne. Eine Verweigerung, eine Verletzung, eine Abrechnung. Hof und Helnwein kotzen ihren Haß erbarmungslos auf die Bühne. Hof und Helnwein installieren lebende Monomentalbilder aus Musik, Malerei und Licht. Ich bin mir nicht sicher ob das alles mit der HAMLETMASCHINE zu tun hat. Es gab schon viele Interpretationen der HAMLETMASCHINE, vor dieser sollte man warnen.
Ich war zur letzten der drei Vorstellung in Berlin, der Zuschauerraum war gefüllt, voller junger Menschen, die ich noch nie im Theater gesehen habe, auf keinem Fall bei einer HAMLETMASCHINE. Einige sind gegangen. Als die Musiker und Darsteller sich verbeugten gab es Pfiffe und frenetischen Beifall und verstörtes Schweigen von einem Publikum, daß offensichtlich die musikalischen Bilder von Hof und Helnwein akzeptiert, die Lautstärke der TAMBOURS DU BRONX und CASPAR BRÖTZMANN als Droge versteht oder von dem Hamletmassaker überrollt wurde. Ich hätte gern diese Vorstellung verlassen, doch bin ich geblieben.
"Hamletmaschine" Heiner Müller, Gert Hof, Gottfried Helnwein
http://www.helnwein.com/werke/theater/tafel_3.html
30.Sep.1997 Deutschlandradio Heinz Benfitzsch