Süddeutsche Zeitung, Münchner Kultur – 10. September 1997
Hamletmaschine", 1997
MIT TRENCHCOATS GEGEN DIE MACHT DES STAATES
Gert Hof gibt mit Heiner Müllers "Hamletmaschine" und Helnweins Bühnenbild in der Muffathalle sein hiesiges Regiedebüt
Dies ist die Geschichte von einem, der auszog, antike Philosophie zu studieren und als 'Enfant terrible' beim politischen Theater landete. Er komme aus einem wohlbehüteten Haus, sagt Regisseur Gert Hof. In Leipzig 1951 geboren, hatte er mit Politik nichts am Hut, hörte viel lieber Musik. Das wurde ihm mit 15 Jahren zum Verhängnis. Denn das Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) brauchte einen Schauprozeß und entdeckte bei Hof zwei Rolling-Stones-Platten. Er wurde verhaftet, und als er nicht denunzieren wollte, in eine Dunkelzelle gesteckt, wo ihn unvermittelt zwei Faustschläge und ein Hieb mit einer Eisenstange ins Gesicht treffen. So verliert er sein rechtes Auge. Die Stasi deklariert den Vorfall als Unfall. Im Prozeß fordert der Staatsanwalt dann achteinhalb Jahre. Hof wird zu eineinhalb Jahren verurteilt, die er als Schwerverbrecher in Bautzen absitzt. Für zwei Stones-Platten. "Das habe ich zehn Jahre lang verdrängt. Aber danach konnte mich niemand mehr einschüchtern."
Hof macht sein Abitur nach und studiert antike Philosophie. Doch nach zwei Jahren wird der Studiengang aufgelöst. Da er sich nicht auf Marxismus-Leninismus einlassen will, verschlägt es ihn in eine Regieklasse. Lust hat er gar keine. Mit Heiner Müllers "Philoktet" hat er noch zu Studienzeiten seinen ersten Skandal. Weil er alle Schauspieler im Trenchcoat auftreten läßt - in der DDR ein Affront, der gar nicht als solcher gemeint ist. "Die Schauspieler haben", erklärt Hof, "auf der Bühne gemacht, was sie wollten. Das war nix, und mich hat auch der Text nicht interessiert."
Ich war der Terrorist
Aber Hof war plötzlich als Theatermacher interessant: "Ich war der Terrorist. Frank Castorf, der damals auch in Leipzig studierte, hat gesagt: 'Das ist ja unglaublich.' Das war aber überhaupt nicht unglaublich." So kommt Hof als Hoffnungsträger ans Leipziger Theater, soll "Wilhelm Tell" machen. Das Stück findet er fürchterlich. Nachts hat er die Vision, das Drama ohne die Titelrolle aufzuführen. Sein Plan ist, alle immer nur von Tell reden zu lassen: "Wenn er kommt, dann wird er sagen..." Die Schauspieler sind hingerissen, lachen sich tot, die Probenatmosphäre ist bombig. Jeder nimmt den Einfall als Gag, aber nicht als ernstgemeinte Idee. Als bei der Generalprobe immer noch kein Tell auf der Bühne steht, und der Intendant die Produktion erstmals sieht ("Ich hab ja schon viele Dilettanten gesehen, aber das . . . !"), will er das Stück nicht bringen. "Dem fiel das Essen aus dem Gesicht", erinnert sich Hof. Aber immerhin: Das Haus ist ausverkauft, also findet die Premiere statt. Sie wird *pending* Position bezieht: "Für mich war Theater ein Instrument, um gegen das Land zu kämpfen." Hof bezieht seinen leidenschaftlich geliebten Rock'n'Roll mit ein, arbeitet viel mit Licht, formt unvermittelt sinnlich wahrnehmbare "Lichtbilder".
Man zwingt ihn, "Mensch Meier" von Franz Xaver Kroetz zu machen. Zeigen soll er, wie's im Westen zugeht. Das Stück gerät aber zu "Hard Core und Punk", beschreibt ironischerweise die Tristesse im Osten. Also sitzen bei der Folgeproduktion "Paule Panke", den ersten Rockspektakel der DDR, zwanzig Stasi-Leute im Probenraum und schreiben mit. Mit allen Mitteln versuchen sie, die Premiere zu verhindern: Alkoholproben bei den Schauspielern, eine Viertelstunde Stromausfall. Die Premiere wird zum Triumph, das Stück aber schnell abgesetzt.
Ärger auch mit "In der Einsamkeit der Baumwollfelder" von Bernhard-Marie Koltès, den Hof als erster in der DDR spielt. Die Berliner Volksbühne sagt: "So ein Autor kommt uns nicht ins Haus"; die Bürokraten lesen im Besetzungszettel etwas von "der Dealer" und "der Kunde": Pfui, ein Drogenstück! Den Höhepunkt erreicht Hof mit "Nina, Nina Tam Kartina", in dem er das gesamte ZK der DDR mit Blindenbrillen auftreten und kollektiv Selbstmord begehen läßt Damit überspannt er den Bogen. "Es wäre Schluß gewesen", sagt Hof - wenn nicht einen Monat später die Mauer gefallen wäre. Das hat ihn gerettet. Jetzt hat er aus seiner Stasi-Akte erfahren, daß er als PID eingestuft wurde, als "Person der ideologischen Diversion". Das bedeutete soviel wie das Ende.
Warum Hof ständig provozierte? Er nennt zwei Gründe. Er wolle zum einen "den Leuten Mut machen mit radikalen Inszenierungen". Weil alle die Ohnmacht gegenüber dem Staat einfach akzeptiert hätten. "Zum anderen brauchte ich nur jeden Morgen im Spiegel mein rechtes Auge anzuschauen, um einfach nicht anders zu können. Meine Produktionen waren Haß."
Noch nie von Helnwein gehört
Nach der Wende geht er zurück an die Volksbühne, der er aber bald den Rücken kehrt. "Gefällig wie Boulevard", findet er, was da mittlerweile abläuft. Bald findet er einen neuen Partner. In einer Kritik wurde seine "Baumwollfelder"-Inszenierung mit Bildern von Helnwein verglichen, von dem er noch nie gehört hat. Nach der Wende lernt er Helnweins Kunst und den Maler kennen, und seit vier Jahren arbeiten die beiden zusammen, wie jetzt auch in München.
Auch der Trend zur Rockmusik geht weiter. Hof bezieht in seine Inszenierungen die 'Einstürzenden Neubauten' und Blixa Bargeld, 'Rammstein' und jetzt die 'Tambours du Bronx' mit ein. So finden in Heiner Müllers "Hamletmaschine" alle für Hof wichtigen Elemente zusammen. Und das Thema, wie da einem Unangepaßten die Flügel gestutzt werden, wie er gesellschaftlich mundtot gemacht wird - das kennt Gert Hof bestens aus dem eigenen Leben. Auch deshalb will er den Müller-Text aus der reinen Ästhetik retten, mit der er etwa in Bob Wilsons hochgelobter Inszenierung konfrontiert wurde: "Ich habe das gehaßt." Hof sucht einen direkten Zugang fürs Publikum. Es soll verstehen, ohne den Text vorher lesen zu müssen, ohne Shakespeare-Seminar im Hinterkopf. Hof will "Punkte der Beunruhigung" schaffen, will, so vielleicht sein letztes Fazit, zeigen: "Man kann sich nicht raushalten aus der Geschichte."
(Von Donnerstag bis Samstag, jeweils 20.30 Uhr in der Muffathalle; Karten vorhanden.)
10.Sep.1997 Süddeutsche Zeitung Reinhard J. Brembeck