WIENER – 3. März 1988
"Macbeth", Stadttheater Heidelber, 1988
ALARM!
Kresniks Choreographie und dazu Maß und Ausstattung von Gottfried Helnwein dem vom Alltag verletzten und daher stark bandagierten Höllen-Breughel der Trivialkultur - parallele Phantasien haben sich hier gefunden. Helnwein: "Das Ganze ist sehr hart und direkt. Selbst derjenige, den die Macbeth-Geschichte nichts angeht, soll den Mund aufsperren. Auch ein Vertreter der Video-Clip-Kultur. Es muss genügend Orientierungspunkte für den Betrachter geben, der mir überaus wichtig ist." Durch Kurt Schwertsiks live dargebotene Klaviermusik für vier Hände - der Flügel ist die einzige Insel im Gedärm des Orchestergrabens - komplettiert sich der Austria-Dreier: ein energetischer Bewußtseinschub für Kopf, Ohren und Augen.
Klinisch weiß, mit Kunststoffbahnen ausgeschlagen, gleißt das Bühnenfeld zwischen Bluttümpel und Todestor, hinter dem sich die jeweiligen Morde des Macbeth geräuschlos und ohne Publikumszeugen abspielen: Nur die Plastikschläuche an den Bühnenseiten färben sich rot, die Blutpumpen erfüllen ihre Funktion als Konkurrenten-Entsafter im Dienste der Karriere. Der Pegel der Orchesterwanne steigt.
Helnweins Makrorealismus, seine harte und direkte Signalkunst, gipfelt in der Ermordung der Macduff-Familie. Wir schauen in eine monströse Idylle, eine riesenhaft aufgeblähte Traummärchen-Welt der deutschen Wohnküche.
Meterhoch sind Tisch und Stuhl, Tasse und Teekanne von gewaltigem Ausmaß. Helnwein zeigt sich als wacher Beobachter und Transformator gesellschaftlicher Bedingungen, ohne dabei den schrill visuellen Kick, als Verständigungs-Vehikel, außer Acht zu lassen.
Dröhnend öffnet sich das stählerne Tor im Bühnenhintergrund, fünf Meter hoch, über zwei Meter breit, dahinter ein dunkler, rußiger Rachen, der alles verschlingt. Der Riegelmechanismus dieser Weltschranke hat sich in der deutschen Geschichte millionenfach bewährt: originalgetreu rekonstruiert nach dem Vorbild nationalsozialistischer Verbrennungsöfen. Ein Priester kommt heraus, montiert aus den Versatzstücken des sympathischen Don Camillo: der lange Talar, der breitkrempige Hut. Denn "der Schwarze" ist nicht nur schwarz gewandet, tatsächlich verbirgt sich ein schwarzhäutiger Darsteller darunter.
Mit einem Eimer in der Linken geht er an die Bühnenrampe und schüttet den blutig-eingeweidigen Inhalt in die Senkgrube der Geschichte, dorthin, wo sich sehr wenig Täter mit sehr viel Opferblut vermengt. Der Orchestergraben hat seine Schuldigkeit getan und das Erlöserblut schon lange.
Dort, wo das Fass groß, die Geschäftssprache amerikanisch und die Gemütsvergangenheit überaus deutsch ist, in Heidelberg aber genau dort pulsiert die Gegenwart bisweilen geradezu unverschämt deutlich. Verantwortlich hierfür ist nicht selten Kresnik, Johann Jahrgang 1939, ein Mittäter, Choreograph und Regisseur des sogenannten Tanztheaters - ein österreichischer Unruhestifter.
Ausschließlich gesellschaftskritische, politische Themen nimmt er auf. Die letzten Projekte sprechen dafür: "Sylvia Plath", "Pasolini", "Mörder Woyzeck". Geschichten mit (selbst)mörderischem Ausgang. Gaudeamus. Ein bildträchtiger Moralist setzt große starke Bilder in Bewegung. Die choreographischen Biographien, die hier durch das Treiben auf der Bühne erzählt werden, legen vor allem die inneren Triebkräfte frei.
Und "Macbeth" ist für Kresnik eines der konsequentesten Stücke, die er kennt. Dabei sei es ganz konsequent, irgendwann einmal "Macbeth" zu machen, dessen Modellcharakter natürlich auf die Paralleltäter der Gegenwart ziele: "Ich zeige hier ganz einfach einen jungen Karriere-Mann, der an die Macht kommen will, in einem ganz geradlinig ablaufenden Prozeß, den man eben sehr gut nur mit dem Körper ohne Sprache ausdrücken kann. Das man ein Ziel verfolgt und ohne Rücksicht auf irgendjemanden draufzusteuert - und sogar seine Frau mitten in die Gedärme reinstellt!"
Kresniks Choreographie und dazu Maß und Ausstattung von Gottfried Helnwein dem vom Alltag verletzten und daher stark bandagierten Höllen-Breughel der Trivialkultur - parallele Phantasien haben sich hier gefunden. Helnwein: "Das Ganze ist sehr hart und direkt. Selbst derjenige, den die Macbeth-Geschichte nichts angeht, soll den Mund aufsperren. Auch ein Vertreter der Video-Clip-Kultur. Es muss genügend Orientierungspunkte für den Betrachter geben, der mir überaus wichtig ist." Durch Kurt Schwertsiks live dargebotene Klaviermusik für vier Hände - der Flügel ist die einzige Insel im Gedärm des Orchestergrabens - komplettiert sich der Austria-Dreier: ein energetischer Bewußtseinschub für Kopf, Ohren und Augen.
Klinisch weiß, mit Kunststoffbahnen ausgeschlagen, gleißt das Bühnenfeld zwischen Bluttümpel und Todestor, hinter dem sich die jeweiligen Morde des Macbeth geräuschlos und ohne Publikumszeugen abspielen: Nur die Plastikschläuche an den Bühnenseiten färben sich rot, die Blutpumpen erfüllen ihre Funktion als Konkurrenten-Entsafter im Dienste der Karriere. Der Pegel der Orchesterwanne steigt. Helnweins Makrorealismus, seine harte und direkte Signalkunst, gipfelt in der Ermordung der Macduff-Familie. Wir schauen in eine monströse Idylle, eine riesenhaft aufgeblähte Traummärchen-Welt der deutschen Wohnküche. Meterhoch sind Tisch und Stuhl, Tasse und Teekanne von gewaltigem Ausmaß. Helnwein zeigt sich als wacher Beobachter und Transformator gesellschaftlicher Bedingungen, ohne dabei den schrill visuellen Kick, als Verständigungs-Vehikel, außer Acht zu lassen.
Die Mär vom Wolf und den sieben Geißlein wird in Richtung "Macbeth" perveriert. Drei psychiaterhafte Wesen mit riesigen Steigeisen an den Fersen mischen sich langsam unter die sorglos tollenden Kinder. Der zuckerig beschwingte Biedermeier kippt schlagartig um in Sippenmord. Angenagelt endet die Mutter am Tischbein, ein Kind wird in der Tasse ersäuft, ein anderes in der Schublade zertrampelt, ein drittes von der Teelöffel-Keule erschlagen.
Dazwischen immer wieder eine stereotyp fliehende Masse, anonyme Tragödianten, die sich, auf dem Boden liegend, sinnlos abstrampeln. Was geschieht mit dem Volk, wenn die Herrschenden ihre blutigen Ränke schmieden? Shakespeares Hexen stecken bei Kresnik/Helnwein zu Beginn noch in SS-Uniformen. Aus den gewaltigen Brüsten saugt Macbeth verzückt die blutrote Milch des Ehrgeiz. In den Schlusssequenzen erscheinen sie als Todesengel: schwarz bestrapste Sex-Megären aus der Sadomaso-Szene, die Macbeth in ihren Todesreigen verstricken und nicht mehr freigeben.
Die schwarz mumifizierten Gesichtsverletzten, mit Operationsbestecken drapiert, verschwinden im Hintergrund: der historische Abfall des Macbeth-Aufstiegs. Im roten Gewand lodert Lady Macbeth durch die Szenen, fixiert ihren Mann auf Machtgier. Verletzt und bandagiert endet auch sie, vom Ehrgeiz zu Tode verführt. Davor noch ihr letztes veitstanzähnliches, epileptisches Aufbegehren. Was bleibt, ist die Wanne und der Abtransport in Richtung Vernichtungstor.
Immer wieder sind es Badewannen, die das tanztheatralische Shakespeare-Konzentrat flankieren: Symbole der Reinigung, Behälter für sezierfrische Leichen und apathische Kranke. Auch gebärende Frauen liegen darin, vierzehnfach, nebeneinander auf der Bühnenebene. Verkrümmte Gestalten suchen in aufrechtstehenden Wannen letzte Zuflucht, bevor sie erstarrt sind wie Pompeji-Tote. Die letzte Wanne sparen Kresnik und Helnwein sich für das Ende auf.
Zuvor stecken die Hexen Macbeth in gigantische Schaftstiefel, die ihm nur noch ein manisch groteskes Marschgetrampel ermöglichen. Aus seinem Blutrausch um die Macht kommt er allein nicht mehr heraus. Helnwein verfremdet die Shakespeare-Prophezeihung. Als Zeichen des Sieges über Macbeth steigt nicht mehr der Wald von Birnam hinauf zum Schloss Dunisam, im Gegenteil: Hier prasselt er von oben herunter, durch Mikrophone im Boden verstärkt, die das Heidelberger Spätbarock vibrieren lassen. Hilfesuchend klammert sich Macbeth an einen der heruntergeschnellten Pfähle.
Macduff erscheint und trägt Macbeth in die Grabeswanne. Der Vorhang schließt sich, bis nur noch ein kleines recheckiges Bildformat offen bleibt. Die letzte Wanne hat die Gegenwart erreicht, vielleicht vom toten Marat auf die Reise geschickt. Diesen Blickwinkel auf einen seitlich liegenden Badewannentoten kennen wir aus der jüngsten Gegenwart und das Plakat zeigt ihn direkt: Anschauungsmaterial für eine abermals gescheiterte Macbeth-Karriere, Anno 1987. Die Geschichte vom Machterhalt um jeden Preis bleibt blutig ernst. Hinter den verschlossenen Türen stapeln sich die Rufmordleichen. Jetzt nennt man es perfiden Machtmissbrauch und demokratische Unkultur, aber tatsächlich ist es das Macbeth-Syndrom. Auf der Bühne hat die Republik dazugelernt.
Der frenetische Beifall endet an der Theatertür.
Von außen am Premierentag Bombendrohungen. Alarm.
Gottfried Helnwein, Stage and Costum Design for "Macbeth" Cooperation with Hans Kresnik
03.Mar.1988 WIENER Roland Groß