helnwein archiv

Tages Anzeiger,Zürich – 18. Februar 1988

"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988

NEBEN DER REEPERBAHN ERREGT EINE NACKTE FRAU DEN VOLKSZORN

von Bernhard Schneidewind

Mainz sang und lachte, ganz Köln grölte "Alaaf", und Hamburg stöhnte unter "Lulu". Mann und Frau waren außer sich. So wie man im Norden der Bundesrepublik eben außer sich sein kann. Hanseatisch enragiert also.
Frauenverachtend?
Die veröffentlichte Meinung zitiert die öffentliche Meinung gleich spaltenlang zu diesem "Pussy-Poster" ("Morgenpost"). Zu Wort kam des Volkes Stimme - "zu erotisch", "finde ich pervers", "unästhetisch", "zu anstößig" - ebenso wie die Stellungnahmen der Bürger, die in der Stadt einen Namen haben. Ernst Schönfelder, Direktor der Philharmonischen Staatsorchesters gab sich kulinarisch: " Auf was für Ideen die Leute kommen, wenn sie keine haben. So ein Plakat kann einem den Appetit verderben". Die Leiterin der Hamburger Leitstelle zur Gleichberechtigung der Frau, Eva Rühmkorf, gab sich als Amtsperson:" Meiner Meinung nach ist die Grenze der Künste überschritten. Das Plakat ist eindeutig frauendiskriminierend". Und schließlich, ganz im Trend, die Leiterin des Kunsthauses, Petra von der Osten-Sakken: "Dazu fällt mir nur Alice Schwarzer ein."

Um mutmaßlichen Schmutz geht es auch diesmal wieder.
Und wieder ist der Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg, Peter Zadek, mittendrin als der Nestbeschmutzer, als den man ihn schließlich auch nach Hamburg verpflichtet hat.
Für seine Inszenierung (siehe TA von gestern) hatte er sich von dem österreichischen Künstler Gottfried Helnwein ein Plakat zeichnen lassen, das an frühere Produktionen des Zeichners für den Intendanten in Hamburg nahtlos anknüpft.

Nach der blanken Brust für "Verlorene Zeiten", dem blanken Po für "Andi" ist es nun, wie die Presse der Stadt höchst schamhaft schreibt, "der nackte Unterleib einer jungen Frau", dem ein zwergenhaftes Männchen gegenübersteht, das der Frau gerade bis hin zum entblößten Venushügel reicht.
Das war wieder einmal zu viel für diese Stadt, in deren Amüsierquartiere zahlreiche ungenannte und größtenteils unbekannte Pinsler in der Tradition des nationalsozialistischen Meisters des Schamhaares, Adolf Ziegler, ihre Werke exhibitionieren, die allein der Anmache der Männer dienen.

Frauenverachtend?
Die veröffentlichte Meinung zitiert die öffentliche Meinung gleich spaltenlang zu diesem "Pussy-Poster" ("Morgenpost"). Zu Wort kam des Volkes Stimme - "zu erotisch", "finde ich pervers", "unästhetisch", "zu anstößig" - ebenso wie die Stellungnahmen der Bürger, die in der Stadt einen Namen haben.
Ernst Schönfelder, Direktor der Philharmonischen Staatsorchesters gab sich kulinarisch: " Auf was für Ideen die Leute kommen, wenn sie keine haben. So ein Plakat kann einem den Appetit verderben". Die Leiterin der Hamburger Leitstelle zur Gleichberechtigung der Frau, Eva Rühmkorf, gab sich als Amtsperson:" Meiner Meinung nach ist die Grenze der Künste überschritten. Das Plakat ist eindeutig frauendiskriminierend". Und schließlich, ganz im Trend, die Leiterin des Kunsthauses, Petra von der Osten-Sakken: "Dazu fällt mir nur Alice Schwarzer ein."

Oder männerbedrohend?
Das allerdings hatte gerade sie, die Kunsthistorikerin, die ja schon einmal über den Tellerrand der bildenden Künste hinausschauen darf, nun nicht sagen sollen. Denn es ist, selbst wenn man für unterstützenswert hielte, wofür der Name Alice Schwarzers hier genommen wird -"PorNo" -,leider ganz und gar verkehrt. Helnweins Arrangement zeichnet sich vielleicht durch besondere Detailgenauigkeit aus, nicht aber durch Originalität. Das Plakat reflektiert eine Topos, der in der Kultur- und Kulturgeschichte von einer Eindeutigkeit ist, die zwar Anstößigkeit enthält, aber ganz und gar nicht im Sinne jener, denen jetzt nur Alice Schwarzer, Pornoschuppen und Frauenverachtung einfällt. Der Ethnologe Georges Devereux hat in seinem kleinen Text "Baubo-Die mythische Vulva" ( Syndikat, Frankfurt am Main, 1985) den Sinn dieser Form von Exhibitionismus durch die Kulturgeschichte hindurch verfolgt und auch anhand eines Beispiels, dass sich im Hamburger Museum für Völkerkunde befindet, dargestellt: "Im allgemeinen wird die Vulva nur zu beleidigenden Zwecken zur Schau gestellt, und zwar sowohl vor anderen Frauen wie vor Männern.
Die Zurschaustellung der Vulva vor einem Mann kann aber nicht nur beleidigende Konnotationen haben, sondern auch eine Art Verhexung gleichkommen."
Zahllos sind denn auch die Abbildungen in der bildenden Kunst, wo eine Frau den Rock nicht nur schürzt, sondern ganz und gar hebt, um den Mann zu entsetzen, gar den priapischen Teufel zu vertreiben, ihm die Hörner zu setzen.

Unter des Volkes Stimme war es immerhin eine 52jährige Angestellte, die angesichts des "Lulu"-Plakates nicht die Augen empört niederschlug:" Schön ist es nicht, aber als Frau bin ich nicht hell empört. Es werden sich eher die Männer aufregen, weil sie als Zwerge dargestellt werden".
Das tun sie denn auch. Die Verbesserungsvorschläge für das Plakat, das die Verkehrsbetriebe der Stadt von den U-Bahnhöfen verbannt hat, sind eindeutig.
Es sind Spuren jenes bildnerischen Volksvermögens, das pornographisch und spießig und männlich zugleich ist. Helnweins Bild hat dieses Vermögen am Schwanz gepackt - wenn es erlaubt ist, das hier so zu nennen -, und das ist schon hart genug.
Da ist es dann wohl auch nur gerecht, dass die Subventionen für das Schauspielhaus für das Wirtschafsjahr 1988/89 um knapp 10% oder 2,4 Millionen Mark gekürzt wurden. Das aber ist kein Skandal in Hamburg, der Fall liegt ja auch etwas komplizierter.

Gottfried Helnwein, Gottfried Helnwein's Painting to Frank Wedekind's "Lulu" at the Hamburger Schauspielhaus 1988
18.Feb.1988 Tages Anzeiger,Zürich Bernhard Schneidewind