DER SPIEGEL – 15. Februar 1988
"Lulu", Hamburger Schauspielhaus, 1988
PLAKATE - KRÄNKENDES ÜBERWEIB
Das Plakat zur Hamburger "Lulu" - Inszenierung wird als "eindeutig frauendiskriminierend" angegriffen.
Auf Augenhöhe und auf kurze Distanz hat das Männchen vor sich, was ihm Verlockung wie Gefahr bedeutet: das weibliche Geschlecht. Die gezielt entblößte Frau überragt den kleinen Kerl derart riesenhaft, dass ihr Oberkörper und ihr Kopf jedem Blick entzogen sind.
So läßt sich der Mythos vom männerverzehrenden Überweib Lulu, wie ihn Frank Wedekind auf die Bühne gestellt hat, auf eine simple Bildformel bringen. So hat es der Maler und Graphiker Gottfried Helnwein mit einem Plakat zu Peter Zadeks langerwarteter "Lulu" - Inszenierung (Premiere: letzten Samstag) am Hamburger Schauspielhaus getan.
Leicht explosive Stimmung herrschte letzte Woche auch in Heidelberg, wo Helnwein erstmals voll in den Theaterbetrieb eingestiegen ist und die Ausstattung zu einem "Macbeth" Abend des Choreographen Johann Kresnik geliefert hat.
Shakespeares machtgierig-skrupelloser Held erscheint als ein vorweggenommener Barschel und wird zum Schluss, gemäß einem Helnwein-Einfall, in die Badewanne gelegt. Auf dem Plakat erscheint das ominöse Photo, das Helnwein unter bewußter Verletzung des "Stern"-Urheberrechts adaptiert hat.
Am Premieren-Mittwoch schreckte eine - wie sich zeigte, leere - Bombendrohung das Theater auf. Am Abend wurde die Produktion nur bejubelt.
Anfang voriger Woche wurden die Plakate geklebt und erfüllten prompt ihren Werbezweck: Hanseatische "Lulu"-Erwartungen wurden kräftig angeheizt. Nicht jedem Litfaßsäulen-Betrachter war allerdings der Vorgeschmack auf Zadeks drastische Bühnenkünste angenehm.
"Eindeutig frauendiskriminierend" so empörte sich Eva Rühmkorf, die der "Leitstelle Gleichstellung der Frau" beim Hamburger Senat vorsteht. Prominente wie Kultursenator Ingo von Münch und weniger Prominente pflichteten, von Lokalblättern einvernommen, dem Sexismus-Verdikt bei oder fanden Helnweins Poster einfach "unästhetisch".
Intendant und Regisseur Zadek konnte leicht die gedruckte Aufregung ignorieren ("Ich kann überhaupt nicht lesen"): Nicht er war zunächst angesprochen, sondern über die Presse, so wie es Brauch der "Leitstelle" ist, erst einmal deren "Basis": die weibliche Bevölkerung. Die sollte das "fehlende Problembewusstsein um Sexismus und Gewalt gegen Frauen" in Beschwerdebriefen anprangern.
Eva Rühmkorf: "Die Grenze der Kunst ist überschritten."
Das sind mehrere Vorwürfe auf einmal. Ob Frauen schlechthin durch das Abbild eines weiblichen Unterleibs zu kränken sind, solange sich die Abgebildete selber, die Lulu-Darstellerin Susanne Lothar, nicht diskriminiert fühlt, wäre mühsam zu erröten. Auch kann die Männerwelt auf dem Plakat durch den Schauspieler Heinz Schubert repräsentiert, sich wohl kaum in Überlegenheitsphantasien bestätigt fühlen. Ob es tunlich war, das krasse Motiv öffentlich auch der Betrachtung durch Kinder, Triebtäter und Gouvernanten preiszugeben, bleibt ein Ermessensfrage.
Aber die "Grenze der Kunst" hat Helnwein bestimmt noch lange nicht erreicht.
Der am Mittelrhein seßhafte Wiener, ein ambitiöser Selbstdarsteller in grausligen Märtyrerposen, ein bewährt provokanter Entwerfer von Plakaten und (auch SPIEGEL-) Titelbildern, hatte mit Empörung über seinen "Lulu"-Entwurf angeblich "nie gerechnet", weil das Motiv doch so "reduziert", ja "bieder" sei.
Keine "letzte ästhetische Lösung" habe ihm vorgeschwebt, als er eigene Probenphotos in ein Aquarellbild umsetzte, sondern die - unbestreitbar legitime - Absicht, das Publikums-"Augenmerk auf ein Thema zu richten".
Daran immerhin hätte Helnwein sich erinnern können: daß schon frühere Schauspielhaus-Plakate von seiner Hand Hamburger Nasenrümpfen hervorgerufen hatten. So war es 1984, als er "Verlorene Zeit" von John Hopkins mit kosenden Lesbierinnen illustrierte, und vor einem Jahr, als er den Hauptdarsteller im Zadek-Musical "Andi" von hinten bloßstellte.
Leicht explosive Stimmung herrschte letzte Woche auch in Heidelberg, wo Helnwein erstmals voll in den Theaterbetrieb eingestiegen ist und die Ausstattung zu einem "Macbeth" Abend des Choreographen Johann Kresnik geliefert hat. Shakespeares machtgierig-skrupelloser Held erscheint als ein vorweggenommener Barschel und wird zum Schluss, gemäß einem Helnwein-Einfall, in die Badewanne gelegt. Auf dem Plakat erscheint das ominöse Photo, das Helnwein unter bewußter Verletzung des "Stern"-Urheberrechts adaptiert hat.
Am Premieren-Mittwoch schreckte eine - wie sich zeigte, leere - Bombendrohung das Theater auf. Am Abend wurde die Produktion nur bejubelt.
In Hamburg stand derweil der kritische Test noch aus
Wie gut Helnweins zu Zadeks "Lulu" passt, können erst Besucher der Aufführung sagen - und auch, wie viel vielleicht von jener Botschaft über die Rampe kommt, die Wedekind einer Freundin Lulus in den Mund legt: "Ich muss für Frauenrechte kämpfen."
Gottfried Helnwein, his Painting to Frank Wedekind's "Lulu" at the Hamburger Schauspielhaus
15.Feb.1988 DER SPIEGEL