Rhein-Neckar-Zeitung – 26. Januar 1988
Rhein-Neckar-Zeitung, 1988
ZWISCHEN MITLEID UND ABSCHEU
Gottfried Helnwein bei Friedman-Guinness in Heidelberg
"Manchmal kann man einfach nicht anders als hinschauen, staunen, glotzen, wenn das, was in den Blick, zugleich aus dem Rahmen fällt. Das ist dann meistens etwas Scheußliches, während das Schöne eher eine Verfeinerung des Vertrauten darstellt, die das Auge zwar erfreut, aber nicht bannt. Schaulust richtet sich seit altersher vornehmlich auf das Außergewöhnliche, Ungeschlachte, Häßliche". - Dieser Satz stammt von Karl Markus Michel. Wir fanden ihn in einem Buch über den Wiener Bildhauer Franz Xaver Messerschmidt mit dem Titel "Charakterköpfe", erschienen vor fünf Jahren im Beltz Verlag Weinheim.
Dieses Zitat könnte ebenso gut auf einen Landsmann des Barock-Bildhauers zutreffen, auf Gottfried Helnwein, der zur Zeit in Heidelberg weilt - nicht nur aus Gründen seiner Ausstellung in der Galerie Friedman-Guinness, nicht nur wegen des soeben über ihn in der Heidelberger Edition Braus erschienenen Buches, sondern auch wegen der Bühnenausstattung, die er für die neue Inszenierung von Hans Kresnik ("Macbeth"), deren Premiere für den 10. Februar anberaumt ist, entwirft.
Dieses Zitat könnte ebenso gut auf einen Landsmann des Barock-Bildhauers zutreffen, auf Gottfried Helnwein, der zur Zeit in Heidelberg weilt - nicht nur aus Gründen seiner Ausstellung in der Galerie Friedman-Guinness, nicht nur wegen des soeben über ihn in der Heidelberger Edition Braus erschienenen Buches, sondern auch wegen der Bühnenausstattung, die er für die neue Inszenierung von Hans Kresnik ("Macbeth"), deren Premiere für den 10. Februar anberaumt ist, entwirft. Auch Helnwein setzt auf die suggestive Wirkung des Außergewöhnlichen und Häßlichen, auf den bildhaften Schock, der im Betrachter etwas bewirken soll. Aber was? Abscheu wohl nicht unbedingt.
Wer bei der Vernissage bei Friedman-Guinness erwartet hatte., Helnwein würde - wie weiland zu Wiener Aktionismus-Zeiten - im Rollstuhl mit bandagiertem Kopf erscheinen, in der ambivalente Gefühle auslösenden Attitüde des Verletzten also, hatte sich geirrt. Der Künstler stand dunkel gewandet ganz "normal" wirkend herum, hatte nur ein schwarzes Tuch um die Stirn geknotet. Schließlich muß man sich ja herausheben aus der Schar der Bürgerlichen, von denen die meisten den Namen Gottfried Helnweins, des 1948 in Wien geborenen einstigen Hausner-Schülers, wohl von seinem seinerzeit auf allen Litfaßsäulen klebenden Selbstporträt her kennen, mit bandagiertem Kopf, verkleisterten Augen und schreiendem Mund. Sowas prägt sich ein, wird zum Markenzeichen, das tunlichst zu kultivieren ist.
Der Bezug zu Messerschmidt, für dessen Hervorbringung verkniffener "Charakterköpfe" auch eine seelische Erkrankung ausschlaggebend war, stellte sich bei uns nicht nur wegen des oben wiedergegebenen, auf Helnwein anwendbaren Zitats ein. Auch Helnwein versucht sich in der Evokation verkrampfter, grimassierender Mienen, die er allerdings nicht mit den Mitteln des Bildhauers bewirkt, sondern selbst ausprobiert. Eine Kostprobe seiner mimischen Anstrengung liefert das Deckblatt zum Braus-Buch "Der Untermensch". Vor einer verwischt den Hintergrund abgebenden Hitler-Gestalt sieht man den Künstler, der sein Gesicht mit roter Farbe verunstaltet hat, in offensichtlich zwanghafter Pose.
Bei Friedman-Guinness sind nicht ausschließlich Helnwein-Fotografien zu sehen mit der bekannten Inszenierung von verbundenen Köpfen und chirurgischen Instrumenten - auch seine Kinder führt er in solcher märtyrerhaft-malträtierten Manier vor -, sondern auch einige seiner Kompositionen, die - nicht anders als bei seinem Landsmann Arnulf Reiner - aggressive Malereien, gestische Übermalungen präsentieren. Daß der Künstler aus Österreich der seit einiger Zeit in der Eifel ansässig ist, Hintersinniges im Schilde führt, daß er zum Beispiel die Spannungen zwischen Gut und Böse, zwischen Täter und Opfer, auch zwischen Mitleid und Abscheu mit seiner schreckenerregenden Ästhetik hervorrufen will, macht die Ausstellung, die bis zum 13. Februar dauert, sichtbar.
Noch deutlicher wird dieser Anspruch in dem in der Ausstellung ausliegenden üppig illustrierten Buch "Der Untermensch" der Edition Braus, das 176 Seiten umfassend und über 100 Fotos, broschiert 48 Mark kostet und in der gebundenen Ausgabe 78 Mark. Den sensibel auf den Künstler und sein Anliegen eingehenden Text schrieben Peter Gorsen und Heiner Müller. Die Abbildungen der Helnwein-Fotos, großformatig und vorbildlich in der Wiedergabe, können mit den Originalen der Friedman-Guinness-Schau durchaus konkurrieren. Sie bieten einen viel umfangreichere Einblick in das Oeuvre des "Pasolini der Fotografie", des von seinen eigenen Ausdrucksmitteln faszinierten Selbstdarstellers, als es eine Ausstellung je zu leisten imstande wäre.
26.Jan.1988 Rhein-Neckar-Zeitung Heide Seele