Stuttgarter Zeitung, Feuilleton – 6. August 1987
Wolfgang Bauer, Galerie Harthan
ABSCHIED VOM GRUSELKABINETT
Wolfgang Bauer und Gottfried Helnwein in der Galerie Harthan
Selbst der zornigste Dichter klammert sich noch an die Sprache. Auch wenn er gegen sie wütet: "Spreche du Krüppel . . . überall dein fetter Arsch . . . ich verstehe immer nur Bahnhof . . . nieder mit dir . . . du Aufhetzer . . . dich will ich würgen." Würgen kann er sie aber nur mit ihren eigenen Mitteln, das macht seinen Trotz hirnrissig: "Kurz vor deinem Tod werde ich noch dichten mit dir, daß du schreist." Jähzornige haben es besser, oder Kinder, denen wenigstens die Einsicht in die Sinnlosigkeit solch inkonsequenten Zürnens erspart bleibt. Deshalb sieht sich der Dichter, den die Wut zwackt, nicht ungern als Kind: "Ein schlimmes Kind bin ich/ Und mit den Toten tanz ich, daß die Grabsteine wackeln." Ein schlimmes und ein verletztes Kind, das nich mehr mitspielt, den andern aber anbietet "Mit meinem trepanierten Kopf könnt ihr Fußball spielen." Ein trepanierter - vom Chirurgen aufgebohrter - Kopf erinnert sogleich an Gottfried Helnweins Markenzeichen: den bandagierten Kopf. Sein Freund Wolfgang Bauer las zur Ausstellungseröffnung in der rappelvollen Stuttgarter Galerie Angelika Harthan einige Gedichte, die schon etliche Jahre alt sind. Ausdrücklich Helnwein gewidmet ist ein "Boulevard of Broken Dreams". Es endet sang- und klanglos: "Die Traurigkeit festhalten . . . umfallen wollen . . . verreisen für immer" - ohne Schmäh?
Weiterhin in Graz lebt Wolfgang Bauer, Bühnendramatiker, im letzten Jänner brachte er einen roulettespielenden Faust auf die Bühne des Wiener Akademietheaters. Helnwein aber warf mehr als eine Tür hinter sich zu, als er 1985 von Wien nach Burgbrohl bei Koblenz umzog. Sein Schocker-Image ist ihm lästig geworden, auch wenn er sich für Stuttgarter Vernissagengänger noch einmal schön gestylt hat mit schwarzer Stirnbinde, Sonnenbrille und blutroten Händen. Ein Könner bricht mit seinem Können: mit einem spezifisch trivialen Fotorealismus, der soviel Empörung wie Aufsehen erregte. In der Galerie Harthan zeigt er bis zum 21. November Beispiele "reiner Malerei" aus diesem Jahr, große Hochformate in Öl und Acryl. Kultivierte Farbflächen mit vielsichtiger Abtönung, aufhaltsam monochrom angelegt - Farbsplitter haten den monochromen Zusammenklang auf. Unscharfe rote, blaue und grüne Streifen fallen in ungefährer Kopf-form, eine gebänderte Fechtermaske aus samtenem Schwarz. Das wandfüllende Diptychon "Selbstportrait Nr. 15 und 16" (Preis 28 000 Mark) verhält sich am ruhigsten. In farbigem Schwarz und farbigem Weißgrau erkennt man jeweils eine Kopfkontur aus einer unten angeschnürten, ovalen Schlangenlinie. Kopfparaphrasen von maßvoll radikaler Sparsamkeit, solide nuanciert.
Gottfried Helnwein "Selbstportrait Nr. 15", 1986: www.helnwein.org/werke/selbstportraits/group22/image484.html
Gottfried Helnwein "Selbstportrait Nr. 16", 1988: www.helnwein.org/werke/selbstportraits/group22/image483.html
Jedes gemalte Einzelbild steht auch in einem zyklischen Medienzusammenhang. Helnwein arbeitet mit verschiedenen Medien, er malt nicht mehr fotorealistisch (sagt aber nicht: nie mehr), aber er übermalt Fotos. Auf dem Bildzwitter "Die Auferstehung" kehrt der bandagierte Kopf wieder, mit einer Mundklammer, die wie eine verrutschte Brille aussieht. Der altbekannte Gruselkopf hat gewonnen, er ist gewissermaßen zum tragischen Porträt geläutert, mit dem aufs Fotoschwarz gemalten Goyaschwarz, oder ein Antiporträt; der Speichelfaden, der aus dem Mund tropft, fällt aus jedem Porträtrahmen.
Außer den übermalten zeigt er inszenierte, "reine" Fotografien. Im Atelier inszeniert: meist unter Einblendung einer maskierten Vordergrundfigur. Ob jedoch die Kontrastierung eines schwarzen NS-Soldaten mit einem kleinen blonden Mäderl noch kritische Impulse abgibt, scheint zweifelhaft. Ein Terrorist mit übermenschlich leuchtenden Augen schreitet durch die nachtblaue Stadt. Die Dschungelkrieg-Serie "Tanz der Affen" - einprägsamer als jedes TV-Bild - berechtigt jedoch zu der Annahme, daß der Weg aus dem Gruselkabinett vorgezeichnet ist.
Gottfried Helnwein "Sol Niger", 1987: www.helnwein.org/werke/photo/group5/image549.html