helnwein archiv

Schweizer Illustrierte – 30. November 1990

Schweizer Illustrierte, 1991

KOPFKUNST

von Christoph Soltmannkowski

Seine hyperrealistischen Gemälde machten ihn zu einem der bedeutendsten Künstler der Gegenwart- jetzt stellte er in der Schweiz erstmals aus. Erstmals auch Fotos.

Der Hof der Burg von Burgbrohl wirkt idyllisch und friedlich. Außer dem Rauschen der Bäume ist hier nur eine spielende Kinderschar zu hören. Eine Hündin, der die Kinder zum Spaß eine Krawatte umgebunden haben, begrüßt uns. Die Krawatte, erfahren wir später, hat die muntere Bande dem Burgherren entwendet: Gottfried Helnwein, 42, Künstler. Er empfängt uns in seinem Arbeitszimmer, einem großen, hohen Raum, mit großen Bücherwänden voller Kunstbänder, Regalen voller alter Apotheken- und Giftfläschchen mit Körperorgan- Modellen aus dem Biologieunterricht. Hierhin, ist das Wahrzeichen des Dörfchens Burgbrohl zwischen Koblenz und Bonn, hat sich der in Wien geborene Künstler zurückgezogen. "Ich bin weg von Wien, weil es eine mir nicht angenehme Stadt ist. Dort herrschen Bösartigkeit, Neid und Hass. Denn entweder wird man in Wien besonders stark und intensiv, oder man geht unter. Eigentlich hätte ich schon mit vierzehn abhauen sollen.." Helnwein ging nicht unter damals - und packte die Stärke und Intensität, die er erreichte, in seine Bilder. Bilder voller Gewalt, Entsetzen, die seine hyperrealistische Maltechnik erschreckend lebensecht wirken ließ. Als berühmtestes sein Selbstporträt mit bandagiertem Kopf und in die Augen greifende Gabeln, dass auf unzähligen Titelbildern, durch Plattencover und Poster weltweit verbreitet wurde. Unter hunderttausend Franken ist heute keines seiner Bilder zu haben - der einst "Schockmaler" Genannte ist längst ein akzeptierter Künstler. "Schockmaler", sagt Helnwein. "Eine stumpfsinnige Bezeichnung ", wehrt er ab. "Wenn Kunst in irgendeiner Weise kritisch ist, löst sie immer Unruhe aus und Schreck. Was Schock oder Schreck angeht, das vergeht. Was übrigbleibt ist die Qualität." Er zeigt uns die Starporträts, die er demnächst in der Schweiz ausstellen wird. Fotografien, keine Gemälde. Mit derselben Aussagekraft, im typischen Helnwein- Stil. Etwa das Bild von Andy Warhol, der darauf wie eine Leiche wirkt. Obwohl es sechs Jahre vor seinem Tod entstand. Eine Tatsache, die auch Helnwein selbst erstaunt: "Ich habe die Porträts von Mick Jagger, Michael Jackson, und Norman Mailer mit den Bildern andere Fotografen verglichen- und da liegen Universen dazwischen." Auch er habe geglaubt, die Kamera sei ein objektives Medium. "Man kann ja nur hinhalten und abdrücken - aber trotzdem sehen die Bilder meinen früheren Aquarellen unglaublich ähnlich. Es ist etwas Magisches." Von den Begegnungen mit Michael Jackson ist er beeindruckt. "Er ist ein faszinierender Typ. Alles Verrückte, was über ihn geschrieben wird, stimmt nicht. Er ist hochintelligent." Die hyperrealistische Aquarelltechnik, die ihn bekannt gemacht hat, wendet Helnwein nur noch selten an. "Gewisse Leute sahen mich deshalb als eine Art Maltechnik-Papst " begründet er das "Und so etwas zu werden, war nie mein Ziel. Diese Maltechnik hatte ich mir in vierzehn Tagen angeeignet. " Um der Wiederholung zu entgehen, arbeitet er jetzt mit ganz verschiedenen Medien. "Aber die Absicht", sagt er, "ist dieselbe geblieben. Ich habe erkannt, dass man auch in der Fotografie und sogar in der abstakten Malerei Dinge sichtbar machen kann, die man mit bloßem Auge nicht sieht." Das Kind sieht aus, als wäre es tausend Jahre alt Er weißt auf die großformatigen Kinderporträts hin, die demnächst im Lausanner Elysee- Museum gezeigt werden: "Da gibt es ein Kind, das schaut aus, als wäre es tausend Jahre alt und hätte alles gesehen. Dabei ist es erst vier und ein völlig normales, glückliches Kind." Hat Helnwein mit seiner Kamera Unterbewusstes heraufbeschworen? Kinder. Ein Thema, das bei Helnwein immer wieder auftaucht. "Von der Spontaneität eines Kindes kann ein erwachsener Künstler nur träumen ", sagt der vierfache Vater und erzählt mir von seinem achtjährigen Sohn Ali, der auch Künstler werden will. "Den beneide ich oft, weil er so spontan an etwas herangeht. Der denkt nicht nach, der grübelt nicht, der nimmt den Stift, und es sitzt, es ist alles perfekt. "So definiert Helnwein einen Künstler als einen Mensch" Menschen, der etwas von dieser kindlichen Naivität und Kraft ins Erwachsenenalter hinüberretten konnte." Er glaubt auch, dass Kinder bei der Geburt unglaubliche Qualitäten mitbringen, die leider von den Eltern und den Erziehungsorganen zerstört werden. Er erzählt von dem Schlüsselerlebnis seiner Kindheit, die er in einem grauen Bezirk Wiens verbrachte. Es war der Tag, als ihm der Vater, ein Postbeamter, Mickymaushefte mitbrachte. "Als ich diese Disneyzeichnungen sah, öffnete sich eine Welt für mich." "Donald Duck ist wichtiger als Mona Lisa" Noch heute ist für Helnwein Donald Duck das größte Kunstwerk als Leonardo da Vincis Mona Lisa. "Donald Duck ist etwas, was es vorher in der Kunstgeschichte noch nie gegeben hat. Es ist eine Kreation, die sich nirgends anlehnt. Donald besteht aus einer einzigen Linie. Und mit diesem einen Strich ist es Walt Disney und dem Donald- Zeichner Carl Barks gelungen, alle Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins darzustellen: Heiterkeit, Verwirrung, Zynismus, alles, was mit dem menschlichen Leben zu tun hat, wird so deutlich ausgedrückt, wie es noch nie zuvor ein Künstler geschafft hat." Hohe Ausdrucksstärke und Intensität mit möglichst reduzierten Formen zu erzeugen, das ist Helnweins Ziel. Deshalb die abstrakten und monochromen Bilder, die er jetzt in der Schweiz ausstellt. Im Malatelier zeigt er uns die Originale: Das Selbstporträt mit den Gabeln hat er verfremdet. Doch brutal wirkt es noch immer - doch nicht auf seine Kinder. "Kinder haben ein ganz anderes Verhältnis zu Grausamkeit und Katastrophen. Sie sehen das viel ursprünglicher, natürlicher und klarer. Deshalb sind die Horrorfiguren in Kindergeschichten immer am populärsten: Die Hexe, der Wolf, das Monster." Was fällt ihm zum Thema Schweiz ein? "Die haben die beste Verfassung der Welt. Dass man mit einer Volksabstimmung etwas ändern kann, das ist faszinierend. Dann fällt mir noch der Schlumpf ein, der war doch mal Bundespräsident, oder? " Klar, dass Helnwein dabei an die gleichnamigen Komikfiguren denkt. (mit Fotos von Charles Selter) Demnächst in Lausanne: großformatige Kinderporträts