Die Welt – 29. März 1993
"Faces",One-man show, Rheinisches Landesmuseum,Bonn
Foto-Ausstellung in Bonn: "Gottfried Helnwein Faces"
Natürlich möchte man wissen, wie Helnwein sich von anderen bedeutenden Kameraportaitisten unterscheidet.
Er vermeidet die Idealisierung eines Yousuf Karsh, die Entblössung eines Richard Avedon, das kühl-komponierte grafische Arrangement eines Irving Penn. Helnweins Stil ist die freie Auswahl seiner Modelle, wobei sich jedes Bild zu einer neuen persönlichen Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber formt.
Sein Stil ist die Freiheit der Annäherung, Kein eintöniges Schema, sondern immer faszinierende Premieren.
Bonn - Die überlebensgrossen, vorwiegend schwarzweissen Porträts internationaler Prominenter würden den Autor der Horror-Selbstbildnisse mit dem aufgerissenen Mund, "Der letzte Schrei", nicht verraten, wären sie nicht auch, gewissermassen als Kennzeichen dabei: Hautnah sind von Gottfried Helnwein die den Rahmen von 99 x 55 Zentimetern fast sprengenden Köpfe der bildenden Kunst, der ausübenden Musik, der Literatur, der Bühne und der Politik gestaltet und präsentiert. Sie springen einen an, unausweichlich, oft in dramatischem Licht, bisweilen frontalausgeleuchtet.
Es kommt Helnwein zustatten, dass er kein Fotograf ist und für ihn überkommene Lehr-Regeln nicht gelten. Er geht spontan und doch überlegt auf seine Modelle zu und holt sie ganz nach vorne.
So begegnet man ihnen hautnah: dem Löwenhaupt des Schriftstellers Norman Mailer, dem geglätteten Kindergesicht des Singstars Michael Jackson, dem klugen Blick des Naziverfolgers Simon Wiesenthal und dem fetten Lachen des Präsidenten Lech Walesa.
Und hält man sie als grossformatigen Katalog in der Hand, erkennt man: Nie war eine derartige Gesellschaft von 32 kreativen Weltfiguren so übermächtig zwischen zwei Buchdeckeln versammelt. Dabei folgen von einigen, etwa dem Rock-Gitarristen Keith Richards vier, bei anderen, wie dem Schriftsteller William S. Burroughs, drei und bei dem Pop-Künstler Andy Warhol zwei Versionen, als wolle Helnwein bekunden, dass eine Aufnahme kaum umfassend informativ sein kann.
Den Gedanken greift Burroughs im Geleitwort auf: "Es ist ein grundlegender Irrtum, dass irgendein menschliches Gesicht zu irgendeinem Zeitpunkt mehr oder weniger gleich aussieht wie dasjenige einer Statue. In Wirklichkeit ist das menschliche Antlitz von Augenblick zu Augenblick so verschieden wie ein Bildschirm, auf welchem Bilder von innen und aussen projiziert werden."
Und doch: Helnweins Einzeldarstellung von Deutschen möchten etwas Endgültiges aussagen. Das wirkt manchmal fast so, als begegne der Autor diesen Modellen mit verhaltener Sympathie: dem weise blickenden Willy Brandt beispielsweise, dem intensiv schauenden Sammler Peter Ludwig, dem überschatteten Dramatiker Heiner Müller oder dem von Düsternis umwölkten Schauspieler Maximilian Shell.
Aber dann folgt doch dreimal mit verhaltener Ironie der umstrittene Bildhauer Arno Breker, einmal skeptisch blinzelnd, dann gar mit vorgehaltenem Konterfei von Joseph Beuys und zuletzt farbig im Profil seinen gigantischen, geisterhaft-grünen "Super-Dali" betrachtend.
Die einzige Frau: Leni Riefenstahl. Die gleichen dunklen Augen wie 1933, den Mund zu einem verlegenen Lächeln verzogen in einer Faltenlandschaft - Vergagenheit im Heute.
Natürlich möchte man wissen, wie Helnwein sich von anderen bedeutenden Kameraporträtisten unterscheidet.
Er vermeidet die Idealisierung eines Yousuf Karsh, die Entblössung eines Richard Avendon, das kühl-komponierte grafische Arrangement eines Irving Penn.
Helnweins Stil ist die freie Auswahl seiner Modelle, wobei sich jedes Bild zu einer neuen persönlichen Auseinandersetzung mit seinem Gegenueber formt.
Sein Stil ist die Freiheit der Annäherung. Kein eintöniges Schema, sondern immer faszinierende Premieren.
So entstehen nicht PR-Fotos; vielmehr wird eine Art Ikone besonderer Zeitgenossen einprägsam beschworen.
Drei Essayisten - zwei davon auch visuell anwesend - sind als fesselnde Beigaben im Bildband bemüht, das Undeutbare bei Helnwein mit Worten aufzuspüren.
Aber der unmittelbare Appell der "Faces" sebst ist stärker als Worte.