profil, Wien – 31. Mai 1999
Oscar Bronner, profil-Gründer erinnert sich.
GRENZEN IN DIESEM LAND GESPRENGT
Oscar Bronner, profil-Gründer und jetziger "Standard"- Herausgeber, über Gottfried Helnwein:
"Schliesslich reagierten wir irrational wie mancher Selbstmörder. Trotz aller Bedenken beschlossen wir, das Helnwein-Cover unverändert abzudrucken.
Denn es gefiel uns."
Zweimal vermittelte ich als profil-Herausgeber zwischen unseren Lesern und dem Künstler Gottfried Helnwein. Das erstemal stellte ich ihn in einem Herausgeber-Brief (profil 1/73) als Covergestalter vor:
"Schon seit langem steht das Thema Selbstmord auf unserem Programm. Wie die Illustrationen dazu aussehen sollte, war uns ein Rätsel. Viele Ideen boten sich an, sie waten aber banal, kitschig oder marktschreierisch.
Als wir neben dem Arbeitsplatz unseres Grafikers Bernhard Paul ein Plakat sahen, das einige der gespenstischen Bilder seines Freundes Gottfried Helnwein zeigte, beschlossen wir, den Schockmaler mit dem Titelbild zu beauftragen.
profil-Redakteur Erhard Stackl, der gemeinsam mit Dr. Ursula Pasterk den Selbstmordbericht vorbereitete, nahm mit Helnwein Kontakt auf und schrieb erst einmal eine Geschichte über den Maler selbst (profil 12/72). Einige Zeit später lieferte Helnwein das Titelbild. Erst waren wir begeistert.
Dann nahm die journalistische Akribie in uns überhand, und die Kritik setzte ein:... Das Mädchen setzt die Rasierklinge so an, dass das Blut nicht so spritzen kann, wie es das Bild zeigt. Jeder Zeitungsleser weiss, Selbstmorde scheitern immer wieder daran, dass die Pulsadern quer und nicht längs aufgeschnitten werden... Helnwein verschanzte sich hinter der künstlerischen Freiheit, er wolle nicht eine medizinische Abbildung malen, sondern zeigen, wie er den Selbstmord sieht.
Nach langer Diskussion agierten wir schliesslich irrational wie mancher Selbstmörder: Trotz aller Bedenken beschlossen wir, das Bild unverändert abzudrucken. Denn es gefällt uns."
Der zweite Herausgeber-Brief betraf das Cover "Lässt sich Intelligenz manipulieren?" (profil 6/73). Darin Schrieb ich:
"Wir haben im Laufe der Zeit die wildesten Skandale dieses Landes penibel beschrieben, keiner dieser Berichte löst auch nur annähernd so eine Reaktion aus. Es ist interessant zu registrieren, dass ein Bilder stärker provoziert als ein Text, das Fiktion heftigere Reaktionen auslöst als ein Tatsachenbericht.
Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Fantasie stärker angeregt und im Unterbewusstsein Schlummerndes angesprochen wird. Hier liegt noch ein weites Betätigungsfeld für Kummunikations-theoretiker."
Wenn ich heute diese Herausgeber-Briefe lese, so überfaellt mich Nostalgie. Über den Talenteschuppen profil und darüber, dass wir uns, obwohl es uns selbst nicht ganz leichtgefallen ist, mit Künstlern wie Helnwein oder Manfred Deix eingelassen haben. Ihre Power und die Aufbruchsstimmung rund ums profil haben einige Grenzen in diesem Land gesprengt.