polyaisthesis – 30. November 1989
Internationale Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Mozarteum, Salzburg
Erstickter Schrei
Über Kunst und ihre Botschaft im postmodernen Dschungel transkultureller Rätsel
An dieser Stelle sollen nun drei Beispiele diskutiert werden, Bilder von Klaus Staeck, Gottfried Helnwein und Paolo Baratella, die das ästhetische Programm der Protestmalerei bis zum gesellschaftlichen Eklat getrieben haben.
Einen anderen Weg der Kritik am Bestehenden bis hin zum Ausbruch nackter Verzweiflung geht Gottfried Helnwein. Seine mit fotographischer Treue detail-genau naturalistisch wiedergegebenen Portäts lassen sich als super- bzw. hyper-realistisch bezeichnen. diese in Form und Farbe Gestalt gewordenen Alpträume beschränken sich nicht wie Staecks Plakate aufs Hervorrufen von sozialen Mitleid als Produktivkraft einer Veränderung der Lebensbedingungen.
Helnweins Bilder erwecken eine tiefere Angst vor sadomasochistischer Gewalt, vor Exzessen des Umgangs mit Menschen, die gequält werden, selbst quälen und dem Schrecken der Technik, der Medien oder dem Krankenhausterror ausgeliefert sind. Der Ekel, den seine superrealistischen Bilder vor allem Kranken, Abnormen, Deformierten in seiner hilflosen Auslieferung an gewaltsame Überformung auslösen, ist extremes Schockmittel im Sinne von Antonin Artauds Wirkungsästhetik.
Helnweins politisch engagiertes Plakat gegen die Stationierung der Persching-Raketen in Europa GLEICHGEWICHT DES SCHRECKENS (Helnwein 1985, 142) sandte er an die Spitzenpolitiker in Ost und West; auf zahlreichen Titelseiten von Journalen wurde es verbreitet.
Der schreiende Kopf eines scheinbar in braunem Wasser Ertrinkenden, den Helnwein 1983 unter den Titel DAS LIED (Helnwein 1985, 56f.) stellte und der auf dem Plakat "BEVOR ES ZU SPÄT IST, RETTET DIE DONAU" (ibid., 141) bekannt wurde, braucht in Österreich, wo er als Aufkleber für Umweltschützer Verbreitung fand, nicht eingehender beschrieben zu werden.
Sein berühmtestes Bild ist zweifellos das Selbstporträt von 1983 (Helnwein 1985, 121), das als Beitrag zur Ausstellung "Orwell und die Gegenwart" im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien 1984 vorgestellt wurde. Die Weltweite verbreitung dieses SELBSTPORTRÄTS DES SCHRECKENS hat dem "Blut- und Narbenmaler" 3) entgegen aller Ablehnung seiner Provokationen international Durchbruch verschafft. Existenzieller Schrecken überwindet offenbar alle Grenzen, die kultur-spezifisches Verstehen aufzurichten vermag.
"Malerei muß sein wie Rockmusik" (Helnwein 1985, 141) und "Malen ist sich wehren", sagt Helnwein über seine Motivation. Sein Thema der Bedrohung und Gefährdung scheint den Nerv der Zeit zu treffen, der Aufschrei, den das stumme Medium verschweigt, bricht in jedem Betrachter selbst aus und schlägt die empathische Brücke über die Grenzen von Klassen, Rassen und Kulturen hinweg.
Die Metamorphosen des Selbstporträts im Triptychon (5, 6, 7) von 1986 (Acryl auf Papier, Öl auf Leinwand, Acryl auf Papier; 210 x 450) sowie die weiteren Entwicklungen des Sujets in zwei weiteren Triptychen zeichnen einen Umgang mit dem Thema, der wegführt vom Fotorealismus und immer weiter in eine Abstraktion der Entpersönlichung des Horrors hinein.
Die Blutversion in der zweiten Variante (Rot- und Weiss-Töne, Öl auf Leinwand) steht in Bezug zu den blutüberströmten, verbundenen Köpfen des Triotychons DAS STILLE LEUCHTEN DER AVANTGARDE. In diesem Foto-Triptychon flankieren die bandagierten Köpfe eine Fotografie von Caspar David Friedrichs Bild DIE GESCHEITERTE HOFFNUNG, das ein Schiff - bei Friedrich Symbol von Freiheit und Hoffnung - gekentert zwischen hoch aufragenden, zerbrochenen Eismassen zeigt.
Während in Helnweins Rot-Weiß-Variante des Selbstporträt-Triptychons der im Schrei aufgerissene Mund überproportional dominiert, betont die Blau-Grün-Variante die Augenpartie als gespenstische Totenschädelvision einer postfuturistischen Existenz. Im folgenden Triptychon (1986; 8, 9, 10; 210 x 450) wird das Abbild eines menschlichen Antlitzes gänzlich aufs Umrißhafte eines gelb-grün konturierten Kopfes reduziert, dann bleiben nur noch ein schwarzer Umriß auf rotem Grund und seine Umkehrung - eine rote Kopfform mit angedeuteter Total-bandage auf schwarzem Grund - übrig. Einen quasi expressionistischen Ausbruch etwa im Stil der Wilden Malerei zeigt das Selbstporträt Nr. 11 des weiteren Selbstporträt-Triptychon (1986; Acryl und Öl auf Leinwand; 210 x 450), dem eine quasi Schlemmersche Stilisierung (Nr. 12) und schließlich (Nr. 13) eine Variante des 20. Bildes - rot auf weiß-beigem Grund - folgt.
3) Hans Dichand in: Gottfried Helnwein. Ausstellungskatalog des Mittelrhein-Museums und Hans Metternich, Koblenz 1987, Galerie Würthle, Wien 1987 und Leopold-Hoesch-Museum, Düren 1987.
Internationale Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Mozarteum, Salzburg