Stuttgarter Zeitung – 16. Juni 2001
Strawinskys "The Rake's Progress", 2001
ZIEHENDE WOLKEN
Flimm gewann für Bühne und Kostüme Gottfried Helnwein, der angeblich notorisch Drastik und Provokation sucht, zunächst aber ein ingeniöser Bildmacher ist. ein Maler, Grafiker und Fotograf. Das verbindet ihn mit William Hogarth, dem englischen Kupferstecher, dessen Bilderzyklen Strawinsky zur Oper inspirierten. Doch 250 Jahre später setzt Helnwein nicht bei Hogarth und seiner realistisch genauen Darstellung der Londoner Casinos, Lusthöllen und Irrenhäuser an. Helnwein arrangiert eine magische Zeitlosigkeit durch präzise Rekostruktion konkreter Stile und zugleich fantasiegeborener Kreationen. Selten erlebte man die plastische Wirkungskraft von Kostümen so intensiv wie in Helnweins schiefem, nach rechts sich neigendem Kubusraum, in den zur Linken drei Türen eingelassen sind und dessen hellweisse Flächen immer wieder Bildprojektionen dienen, Kostüme und Bilder sind von ausgesuchtem Antipsychologismus, von entwaffnend stereotyper Symbolik, so wie Audens und Kallmans Text, wie Strawinskys Musik.
Zu entscheiden, ob Igor Strawinsky ein Russe mit amerikanischem Pass oder ein Amerikaner russischer Herkunft gewesen ist, scheint müßig - sein Leben und seine Musik waren kosmopolitisch. Für die Feier seines achtzigsten Geburtstages 1962 stellte das jedoch ein Problem dar. Um die Präsidenten Kennedy und Chruschtschow, die ihn aus diesem Anlass einluden, nicht zu brüskieren, folgte Strawinsky dem Rat von Rolf Liebermann und feierte - in Hamburg. Es wurde ein schönes Fest an der Staatsoper mit Ballett und einem Operngastspiel aus London: "The Rake's Progress", die einzige abendfüllende Oper des Komponisten.
[The Rake's Progress]
Nun feiern Strawinsky und Hamburg wieder. Fünzig Jahre sind seit der Uraufführung der "Karriere eines Wüstlings" in Venedig vergangen, und der Regisseur Jürgen Flimm verbucht zwanzig Jahre als Opernregisseur. Hier am Ort gab er sein Debüt: einen skandal-umtoste Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen", die viel zu schnell abgesetzt wurde. Flimm kehrt an die Dammtorstraße zurück, und ein wenig ahnt man noch in dieser Arbeit, was er einst dem Musiktheater in Asterdam und Zürich hat geben können.
Hier ist es die Magie des Raumes, der zur Musik wird, Musik, die zum Raum wird; obwohl "The Rake's Progress", Strawinskys Abschiedswerk von der Neoklassik, wirkungsästhetisch kaum weiter entfernt von Wagners Tricksereien sein könnte, etwa dem "Parsifal", der solche Transformationen propagiert. Flimm gewann für Bühne und Kostüme Gottfried Helnwein, der angeblich notorisch Drastik und Provokation sucht, zunächst aber ein ingeniöser Bildmacher ist, ein Maler, Grafiker und Fotograf. Das verbindet ihn mit William Hogarth, dem englischen Kupferstecher, dessen Bilderzyklen Strawinsky zur Oper inspirierten. Doch 250 Jahre später setzt Helnwein nicht bei Hogarth und seiner realistisch-genauen Darstellung der Londoner Casinos, Lusthöllen und Irrenhäuser an.
Helnwein arrangiert eine magische Zeitlosigkeit durch präzise Rekostruktion konkreter Stile und zugleich fantasiegeborener Kreationen. Selten erlebt man die plastische Wirkungskraft von Kostümen so intensiv wie in Helnweins schiefem, nach rechts sich neigendem Kubusraum, in den zur Linken drei Türen eingelassen sind und dessen hellweisse Flächen immer wieder Bildprojektionen dienen, Kostüme und Bilder sind von ausgesuchtem Antipsychologismus, von entwaffnend stereotyper Symbolik, so wie Audens und Kallmans Text, wie Strawinskys Musik.
Ihnen gemeinsam ist die Kunstfertigkeit im Mikrokosmos. Nick Shadow, der Teufel, dem die Seele des Tom Rakewell für allerlei Reichtümer und Lustbefriedigungen nach einem Jahr zufallen soll, erscheint im eleganten magisch-roten Seidenanzug, die Füße umwehen Rauchschwaden, die auch stets sachte aus den Koffern dämpfeln, die er mit sich führt; Anne Truelove, Toms Braut, die dieser Tom schnell in London vergisst, ist zwischen Tulpen eine Unschuld vom Lande, eine hellblondes Provinzgretchen mit Schleife im Haar; ihr unförmig fetter Vater - der wunderbare Carl Schultz, seit 37 Jahren Ensemblemitglied - tapst in einem Knickerbockeranzug dem Unglück seiner Tochter hinterdrein.
Tom selbst, der ziel - und haltlose Weissnichtwarum , wandelt sich vom Gärtner zum Dandy. Er erinnert mit seinem zippeligen Bärtchen ein wenig an den "Alice in Wonderland" - Dichter Lewis Caroll. In der Stadt gerät Tom in eine Traumgesellschaft, begegnet Frauen in Rokokokrinolinen, ihren Glatzköpfigen Galanen in roter Lederkluft - überbreit ihre Schultern wie bei Rugbyspielern, den Baseballschläger parat - , er trifft auf Mother Goose (Renate Spingler), der ein grinsender Gänsekopf auf dem Haupte sitzt, und er heiratet dir Jahrmarktsattraktion Baba the Turk, die Feau mit dem langen Bart (Julia Juon mit Wagnerkraft in der Stimme).
Toms weg führt nicht zu Anne zurück. Der Teufel reizt seine Macht mit einer Letzten Kartenwette aus - und unterliegt Tom. Der kommt trotzdem nicht davon.
Nicks letzter Gruß, bevor er bühnenwirksam in die Hölle versinkt: Tom werde wahnsinnig. Im Irrenhaus sitzt er, sich für Adonis haltend, und ruft nach seiner Venus. Die findet ihn, aber Anne kann hier nichts mehr für Tom tun. Es ist das schönste und traurigste Bild der Hamburger Inszenierung: Ganz sacht haben sich die Wände in bewegung gesetzt, über die Wolken zogen, das Meer toste, die Vogelschwärme flogen, das Feuer brannte. Nun schweben sie im blauen Licht, nun löst sich aller Weltenhalt auf.
Trotzdem bleibt ein unbefriedigter Rest. Gebremste Spiellaune paart sich mit Schwächen in der Sängerbesetzung. Bruce Fowler als Tom besitzt eine feste, ein wenig Weiße und letzlich zu kleine Tenorstimme. In der mittellage kann er sich kaum gehör verschaffen, in den lezten Wahnsinnszenen ist der elegische Schmelz arg brüchig. Gabriele Rossmanith als Anne scheint beinahe ein wenig froh, dass sie Tom am Ende nicht helfen kann. Auch ihr fehlt der stimmliche Nachdruck für das große Haus - und die Farben, wie heute leider den meisten Opernsängern. Der teufelische Nick von David Pittsinger mag nicht sehr subtil sein, immerhin is Pittsinger ein präsenter Sänger und Darsteller.
Das ist recht schade, denn Ingo Metzmacher findet in Strawinskys Partitur das Objekt seiner gezirkelten, gespannten Motorik, eine Lakonik der Phrasierung, die hier stimmt - wogegen diese Lakonik bei seinem Wagner und Verdi manch großen Bogen zerschlägt. In erstklassiger Form folgen ihm besonders die Bläser des Staatsorchesters und erfreuen mit genau austarierter Balance der Stimmen, mit Zusammenspiel und rhythmischer Prägnanz. Bedauerlich, sollte - wie andeutungsweise zu hören ist - die Zusammenarbeit von GDM und Orchster durch Missstimmungen keine Zukunft haben. Musikalische Sensationen stellen sich nicht innerhalb von wenigen Saisons ein.
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BEFREIUNG INS SCHWARZE NICHTS
- Aus dem Reich der Verstümmelten und der bandagierten Köpfe: Strawinskys "Rake's Progress" an der Hamburgischen Staatsoper. -
Julia Spinola
Frankfurter Allgemeine Zeitung | 12.Jun.2001
Das Eindringen des Horrors in den Alltag hat wohl kaum jemand so beklemmend dargestellt wie der österreichische Künstler Gottfried Helnwein. Auf seinen Bildern nimmt die Gewalt derart Besitz von der Normalität, dass sie zum alles vergiftenden Elixier des Grauens wird. Viele seiner Gemälde, Plakate, Fotografien und Federzeichnungen zeigen Versehrung und Verstümmlung von Menschen, klinische Folterszenen, brutalisierten Kindern mit apathischen Blick, mit verbundenen Köpfen und Händen, oder mit ausradierten Gesichtern. Dennoch schockiert nicht die Inhalte allein: So umfassend scheint vielmehr Helnweins Perspektive auf das Leben vom Gefühl der Qual durchtränkt, dass selbst motivisch harmlosen Porträts, von John F. Kennedy oder Mick Jagger etwa, noch die Gewalt aus jeder fotorealistischen Pore dringt. . .
www.helnwein.net/article10.html
DER WÜSTE LEBT
- Kleines Welttheater: Strawinskys Oper "The Rake's Progress" in Hamburg, illustriert von Helnwein. -
Sybille Mahlke
Der Tagesspiegel | 13.Jun.2001
Die Regie Jürgen Flimms fügt sich triftig in den Dialog zwischen kammermusikalischem Orchesterklang und Bühnenbild , weil Helnwein die Erzählung leitet. Fern vom schweren Musikdrama,nimmt die Inszinierung die Stilexkursionen Strawinskys und Audens auf, wenn im Bordell Rokoko-Damen auf Glatzköpfe in gepolstertem Blouson-Look treffen und die Chefin Mutter Goose ostinat auf dem Teufel reitet. In Helnweins Bildergeschichte macht sie ihrem Namen Ehre mit einem Donald Duck auf dem Kopf. . .
www.helnwein.net/article5.html
STRAWINSKY'S TEUFELSWERK AN DER OPER
Engler
Welt am Sonntag | 03.Jun.2001
Das Haus an der Dammtorstrasse zeigt einen Klassiker der Moderne: Jürgen Flimm inszeniert "The Rake's Progress", Ingo Metzmacher dirigiert, und Gottfried Helnwein schuf das außergewöhnliche Bühnenbild. Der Maler, Fotograf, Bildhauer und Bühnenbildner Gottfried Helnwein gestaltet Bühne, Kostüme und Masken - nach Jörg Immendorff ist er der zweite Maler, der sich an die Strawinsky Oper wagt. Im Gegensatz zu dem Düsseldorfer Neuen Wilden geht Helnwein allerdings mit dem fotografischen Auge eines Kameramannes und mit großem Feingefühl als Kostüm- und Maskenerfinder zu Werke. "Was Gottfried Helnwein da gemacht hat, ist gewaltig," sagt der amerikanische Bassbariton David Pittsinger, ein erfahrener Strawinsky-Interpret, der in der Inszenierung den Teufel Nick Shadow singen wird. "Die Kostüme hat er als Maler entworfen, die Farben entsprechen den Klangfarben der Musik und denen der Figuren im Libretto," schwärmt der Sänger, dessen Lehrer Richard Cross noch selbst mit Strawinsky gearbeitet hatte. . .
www.helnwein.net/article13.html
FLIMM IMNSZENIERT STRAWINSKY
Von ESTHER ROTH
Hamburger Abendblatt | 29.May.2001
Bei der Neuproduktion der Strawinsky-Oper an der Staatsoper, die am 10. Juni Premiere feiert, wird abermals das Bild im Zentrum stehen.
Denn Jürgen Flimms Inszenierung wird ausgestattet von Gottfried Helnwein, dem streitbaren österreichischen Maler, Filmemacher, Fotograf und Aktionskünstler,
der die vertonten Gemälde rückübersetzt in neue, freie Bildwelten, assoziativ und provozierend zugleich.
Eine zitatenhafte Videocollage hat er vorgesehen, die auf die leere Bühne projiziert wird, grelle, stimmungsvolle Impressionen, die nichts mit Naturalismus gemein haben, sondern Zeichenhaftigkeit anstreben und damit die Parabel betonen.
Mit Hamburg verbinden Helnwein übrigens einschneidende Erfahrungen: Das Plakat, das er 1988 für Peter Zadeks "Lulu"-Produktion am Schauspielhaus entworfen hatte,
löste wegen seines angeblich pornografischen Gehalts Stürme der Entrüstung aus.
Und Hans Kresniks "Pasolini"-Stück, das er ebendort ausstattete, sorgte für kaum weniger Aufsehen. . .
www.helnwein.net/article333.html
FLIMMS "RAKE" - EFFEKTVOLLES ENTERTAINMENT
jomi
Hamburger Abendblatt | 11.Jun.2001
Gottfried Helnweins Bühne - ein schlichter Schaukasten, durch fantasievolle Videoprojektionen der wichtigste und cleverste Stichwortgeber des Abends -
www.helnwein.net/article11.html
DROLLIGE SCHURKEN
Hans Berndt
Handelsblatt | 15.Jun.2001
Leicht, doch keineswegs zu leicht genommen haben Flimm, Helnwein und Metzmacher das dreistündige Moralmärchen des Igor Strawinsky. Die hanseatischen Opernfreunde, enttäuscht von mehreren Regie-Fehlgriffen, jubeln diesmal unbeschwert. Einen Jux machen wollen sich die Herren Helnwein und Flimm. Das gelingt ihnen. Absurd komisch gerät Toms Eheschließung mit Baba, dem vollbärtigen Zugstar vom Rummelplatz, grotesk die Versteigerung seiner Habe nach der geplatzten Luftnummer am Aktienmarkt. Leichte Regiehand lenkt selbst das Kartenspiel mit Teufel Nick, bei dem der Taugenichts sein Leben gewinnt, aber den Verstand verliert. In Zeitlupentempo bricht zwar die Irrenhauswand über Tom und Anne zusammen. Doch die Epilog-Moral tönt wieder versöhnlich. . .
www.helnwein.net/article2.html
STRAWINSKY: GÄRTNER STATT TAUGENICHTS
- Opernpremiere -
David Roesner
faz.net / Frankfurter Allgemeine | 11.Jun.2001
Der Bühnenbildner Gottfried Helnwein, zweite prägende Figur des Abends, hat das turbulente Libretto W.H. Audens in einem abstrakten Einheitsbühnenbild verortet, dessen Wände expressionistisch schief aufragen und sich durch Licht und Videoprojektionen effektvoll zu verwandeln wissen. Dabei entstehen teilweise überzeugende Traum- und Alptraumbilder: Anna Trulove (Gabriele Rossmanith), die verlassene Geliebte, sucht ihren Rumtreiber Rakewell (Bruce Fowler) und wandelt dabei zerbrechlich mit einem blauen Schirmchen durch die Londoner Unwirtlichkeit, die sie als Fernseh-Schneetreiben auf den Bühnenwänden umgibt. Das Schlussbild der Inszenierung schwingt noch auf dem Heimweg nach: die in Zeitlupe einstürzenden Bühnenwände, die einzig ein von der Liebe singendes Paar verschonen. Mehr Oper wäre gar nicht nötig gewesen. . .
www.helnwein.net/article72.html
DIE PREMIERE VON STRAWINSKYS"THE RAKE'S PROGRESS
Doris Banuscher
Die Welt | 20.Jun.2001
Lang anhaltender Applaus, Bravorufe, nicht ein einziges Buh ertönte.
Die Premiere von Strawinskys"The Rake's Progress" in der Inszenierung von Jürgen Flimm an der Hamburgischen Staatsoper fand eine tolle Resonanz beim Publikum .
Musikalischer Leiter war Ingo Metzmacher und der international bekannte Künstler Gottfried Helnwein begeisterte mit seiner Ausstattung. . .
www.helnwein.net/article236.html
Gottfried Helnwein, Bühnenbild und Kostüm für "Rake's Progress" von Strawinsky
16.Jun.2001 Stuttgarter Zeitung Götz Thieme