Medizin+Kunst, 2. Jahrgang – 1. April 1990
Medizin+Kunst, 1990
GOTTFRIED HELNWEIN
Der Maler des Menschen als Opfer in seiner Qual
Helnwein zeigt wie nur wenige Künstler in schonungsloser Offenheit und Direktheit den Menschen als Opfer in seiner Qual -- ausgeliefert einer Umwelt voller Bedrohungen. Damit fügt er sich ein in die Reihen so bekannter Maler wie Pieter Breughel, Egon Schiele oder Francis Bacon, die er letzlich in bezug auf ungeschminkte, überzeichnete Darstellungsformen noch weit übertrifft.
Ein Bild ging um die Welt als realistische Wiedergabe eines am Kopf bandagierten, durch Gabeln geblendeten Schreienden und wurde in dieser Form zu einem der spektakulärsten Titelbilder zahlreicher Illustrierten. Spätestens mit der Veröffentlichung dieses aufsehenerregenden Selbstporträts ist der Maler und Graphiker Gottfried Helnwein bekannt und ein Begriff in der Kunstwelt geworden.
Helnwein zeigt wie nur wenige Künstler in schonungsloser Offenheit und Direktheit den Menschen als Opfer in seiner Qual -- ausgeliefert einer Umwelt voller Bedrohungen. Damit fügt er sich ein in die Reihen so bekannter Maler wie Pieter Breughel, Egon Schiele oder Francis Bacon, die er letzlich in bezug auf ungeschminkte, überzeichnete Darstellungsformen noch weit übertrifft.
Häufig bevorzugt er dabei Themen, die im medizinischen Bereich ihre Bezüge suchen und ihre Requisiten finden. Gottfried Helnwein ist vielfach vorbelastet. Geboren 1948 in Wien, der Stadt die als Morbide, ja sogar Selbstzerfleischende liebt, dem Ort, wo der Zentralfriedhof als Stätte der Begegnung eine ganz entscheidende Rolle spielt, dem ehemaligen Mittelpunkt der versunkenen Donaumonarchie, in dem Vergänglichkeit und Nostalgie auf Schritt und Tritt spürbar sind -- einem übriggebliebenen Torso -- abgeschnitten und abgetrennt vom verlorenen Weltreich.
Hier wuchs Gottfried Helnwein auf, studierte er 1969 an der Akademie der Bildenden Künste, doch wo immer er auftrat, blieb er unangepaßt, schwierig und unbequem -- einer, der nach Veränderungen im Lehrbetrieb ebenso wie in der künstlergeschichten Gestaltung suchte, der angetreten war, verkrustete Strukturen aufzubrechen, um in Rahmen von Aktionen und Verweigerungen Denkanstöße und Bewegung in die Kunstszene zu bringen.
Bereits 1966 zerrschnitt er sich mehrfach mit Rasierklingen Gesicht und Hände -- als Ausgangspunkt seiner ersten Bandagierungsaktion, deren Motiv und Gedanken er immer wieder augriff, um die Umwelt aus ihrer selbstgefälligen Lethargie zu reißen und zum Nachdenken zu zwingen.
1974 schockierte Helnwein seine Heimatstadt, als er in einer Aktion 15 an Kopf und Händen bandagierte Kinder durch die Fußgängerzone der Wiener Innenstadt führte -- als Reaktion der Welt durch Bevormundung und Unterdrückung.
1979 protestierte er in einem offenen Brief und dem beigefügten Bild eines toten Mädchens, das mit dem Kopf in einem Teller mit vergiftetem Essen liegt, gegen den österreichischen Gerichtspsychiater und ehemaligen Euthanasie-Arzt Dr. Gross, der zuvor in einem Interview zugegeben hatte, während der Hitler-Zeit Hunderte von behinderten Kindern vergiftet zu haben und der diese Art der Tötung auch heute noch als human bezeichnete.
Gross nahm wohlweislich von einer Klage gegen Helnwein Abstand, indem er vorschütse, daß er einen Künstler für nicht satisfaktionsfähig hielte. In der Folge setzte sich Helnwein intensiv mit der Spaltung der Kunst in einem -- wie er sagt -- sogenannten E- und U-Bereich ausenander. Er bezeichnet sich selbts als "Nelson Mandela" der Bildenden Kunst, gegen deren Apartheidssituation in unserem Jahrhundert er ankämpfen würde. Im gleichen Atem zug behauptet er -- ohne zu zögern und zur Verdeutlichung einer eigenen künstlerischen Standpunkte -- daß er von Walt Disney mehr gelernt habe als von Leonardo da Vinci.
So begann Helnwein in einer Serie von Arbeiten über Trivialhelden den österreischischen Fußballstar Hans Krankl, den Sänger Peter Alexander und den ehemaligen Rennfahrer Niki Lauda in hyperrealistischer Form zu porträtieren.
Während der österreichische Dramatiker Wolfgang Bauer diese Werke als "Malerei für die Ewigkeit" lobte, konterten Kunstkritiker mit Ablehnung, die in der Erwiderung gipfelte: "Möge sich die Ewigkeit gegen eine solche Zumutung zur Wehr setzen".
Helnwein ließ sich allerdings von derartiger Kritik nicht irritieren oder gar entmutigen -- er fuhr damit fort, Idole seiner Zeit wie die Rolling Stones, John F. Kennedy, Joseph Beuys oder Andy Warhol zu porträtieren -- gleichzeitig setzte er sich jedoch mit aktuellen Themen auseinander, entwarf Plakate als Mahnung gegen die Zerstörung der letzten großen Auwälder durch die Österreichischen Donaukraftwerke, kritisierte in einer Radiosendung vehement das Ausbildungssystem an den Kunsthochschulen, wies auf die hohe Zahl der Schülerselbstmorde hin und schlug den Jugendlichen als "Alternative" vor, der Schule einfach fernzubleiben.
1986 änderte Helnwein seine Arbeitsweise radikal und begann, Großphotographien mit abstrakter, gestischer und monochromer Malerei in Acryl und Öl zu kombinieren. Er setzte sich mit Tabu-Themen wie Untermensch, Entartete Kunst, Lebensunwertes Leben oder Faschismus künstlerisch auseinander, arbeitete danach an Selbstporträt-Metamorphosen und Selbstinszenierungen zu den Symbolen Sterbender Held, SS-Mann, Märtyrer, Dulder, Kinder-freund und Mumie.
Dabei sezierte Helnwein in seinen Bildern schonungslos längst vernarbt geglaubte Wunden unserer Zeitgeschichte und legte eilig zugeschüttete, jedoch darunter noch bestehende, unaufgearbeitete Eiterherde der Verdrängung frei. Doch die Anerkennung war geteilt.
Auf der einen Seite heimste Helnwein zahlreiche bedeutende Kunst- und Kulturpreise ein, strömte das Publikum zu Tausenden in seine Ausstellungen -- auf der anderen Seite lehnte die gesamte Professorenschaft den Vorschlag seines Lehrers Rudolf Hausner ab, Helnwein zu seinem Nachfolger als Leiter der Meisterklasse für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Wien zu ernennen.
Des Rektors Weigerung gipfelte sogar in der Aussage -- "nur über meine Leiche". Die Auseinandersetzung und Identifikation der Akademie mit dem Unbequemen und Unangepaßten erschien dem Lehrkörper zu aufreibend.
Daß sich die Geister in bezug auf die Beurteilung der Arbeiten und der Person Helnweins scheiden, ist vom Künstler selbst gewollt, denn er sucht bewußt die Provokation, aus der heraus sein Werk lebt.
Wir werden demzufolge in Zukunft noch viel von Gottfried Helnwein zu sehen bekommen, lesen order hören. Seine schockierenden Bilder werden uns häufig -- wie schon in der Vergangenheit -- betroffen machen, zum Nachdenken zwingen und zur Umkehr mahnen.
01.Apr.1990 Medizin+Kunst F.S.
www.helnwein.de/presse/local_press/artikel_616.html