Weser Kurier – 13. November 1989
Weser Kurier, 1989
MENSCHEN ALS VERLETZBARE WESEN
Das Essener Museum Folkwang zeigt Helnweins Arbeiten auf Papier
Als Helnwein Mitte der achtziger Jahre der enorme Publikumserfolg suspekt wird, zieht er sich von Wien auf ein Schloß in der Eifel zurück. Er berichtet: "Auf einmal war ich ganz oben auf der Welle. Aber da wollte ich eigentlich nicht hin. Oben kämpfst du nicht mehr verbissen um Qualität, oben malst du deine Bilder, kassierst das große Geld und entwickelst dich nicht weiter. Da wurde mir klar, daß ich neue Wege gehen muß." Helnwein beginnt, Bühnenbilder zu entwerfen. Die Fotografie, die zu der Vorbereitung seiner Aquarelle diente, wird eigenständiges Ausdrucksmittel. Es entstehen fotografierte Inszenierungen des eigenen Körpers und großformatige Fotos, die mit ungegenständlicher Malerei zu Triptychen vereint werden.
Auch in den Arbeiten auf Papier vollzieht sich eine Wandlung, wie eine Ausstellung im Essener Museum Folkwang anhand chronologisch geordneter Blätter aus den siebziger und achtzig Jahren dokumentiert.
Ein kleines Mädchen im rosa Kleid sitzt da wie eine Puppe. Eine süßliche Idylle - wenn nicht ihr Gesicht gräßlich entstellt wäre. Die weit aufgerissenen Augen wirken gläsern, ein Teil der Oberlippe ist weggefressen, vom Mundwinkel zieht sich eine tiefe Narbe über die Wange.
Mit diesem und vielen anderen ebenso abgründigen wie subtil grausamen Aquarellen avancierte der 1948 in Wien geborene Gottfried Helnwein in den siebziger Jahren zum beachteten, aber kontrovers diskutierten Künstler.
Seine Kritiker warfen ihm Oberflächlichkeit und Effekthascherei vor; erfolgreiche Titelbilder und Illustrationen für namhafte Magazine brachten ihn als käuflich in Verruf. Aber seine Fans feierten ihn wegen der packenden Schilderung menschlicher Schattenseiten.
Als Helnwein Mitte der achtziger Jahre der enorme Publikumserfolg suspekt wird, zieht er sich von Wien auf ein Schloß in der Eifel zurück. Er berichtet: "Auf einmal war ich ganz oben auf der Welle. Aber da wollte ich eigentlich nicht hin. Oben kämpfst du nicht mehr verbissen um Qualität, oben malst du deine Bilder, kassierst das große Geld und entwickelst dich nicht weiter. Da wurde mir klar, daß ich neue Wege gehen muß." Helnwein beginnt, Bühnenbilder zu entwerfen. Die Fotografie, die zu der Vorbereitung seiner Aquarelle diente, wird eigenständiges Ausdrucksmittel. Es entstehen fotografierte Inszenierungen des eigenen Körpers und großformatige Fotos, die mit ungegenständlicher Malerei zu Triptychen vereint werden.
Auch in den Arbeiten auf Papier vollzieht sich eine Wandlung, wie eine Ausstellung im Essener Museum Folkwang anhand chronologisch geordneter Blätter aus den siebziger und achtzig Jahren dokumentiert.
Die Aquarelle der siebziger und frühen achtziger Jahre ziehen durch die Klarheit ihrer Darstellung den Blick des Betrachters auf sich. Ist seine Aufmerksamkeit erst einmal geweckt, kann er sich der Auseinandersetzung mit dem ambivalenten Szenen der Gewalt, Verstümmelung und Deformation nicht mehr entziehen.
Mit der Veränderung des Arbeitsmaterials, der Hinwendung zu Mischtechniken aus Öl, Pastell und Farbstift wandelt sich auch der Stil Helnweins. Seit 1987 entstehen monochrome gegenständliche Zeichnungen wie "Artauds song" und abstrahierende Blätter, auf denen aus dunklem Grund verschwommene Köpfe und grotesk verzerrte Körper leuchten. Die visionären Lichtgestalten versinnbildlichen Angst und Leiden. Im Vergleich zu den früheren Arbeiten sind sie zusammengefaßter, bilden Darstellungsmittel und Motiv eine Einheit mit schon bei flüchtigem Blick bedrückender Wirkung.
Zwar hat Helnwein seinen Stil geändert und damit eine Wandlung von der Schilderung (fast) alltäglicher Grausamkeiten zur Verbindlichung dämonischer Visionen vollzogen, doch als roter Faden zieht sich sein Zentralthema der Verletzbarkeit und Bedrohung des Menschen durch die Blätter der Ausstellung. Nach wie vor hat er einen Hang zur Trivialität und Tragikkomik.
13.Nov.1989 Weser Kurier Veit-Mario Thiede