Tageszeitung München – 12. März 1988
Tageszeitung München, 1988
JEDES BILD EIN KAMPF
Der österreichische Künstler Gottfried Helnwein geht mal wieder seiner Lieblingsbeschäftigung nach: er beutelt das Publikum. In der neuen Ausstellung der Galerie der Zeichner (Prinzregentenstraße 60) geht Helnwein unter die Haut: mit Buntstift(!) -Zeichnungen genauso wie Fotoarbeiten. Wir sprachen mit dem Enfant Terrible der internationalen Kunst- und Zeitschriftenszene über Medien, Moral und Moskau.
In Moskau und Leningrad soll er nämlich nächstes Jahr ausstellen. Hat er keine Angst dort mehr anzuecken, als im Westen?
Er nimmt's gelassen: "Es scheint, dass ich gar nicht anders kann als anzuecken. Die Leute dort kennen merkwürdigerweise viele meiner Arbeiten ganz genau. Jetzt will ich ihnen alles zeigen. Ich bin gespannt, wie sie reagieren." "Alles" ist bei ihm nicht nur chronologisch, das sind auch die Medien und Stile, derer er sich bedient.
"Es gibt keinen Künstler, der mit so viel Medien arbeitet wie ich. Wenn ich merke, da? Eins zum Klischee wird, dann mach ich's kaputt."
Nach seinen hyperrealistischen Bildern, formaler Kampf. Das am allerwenigsten. Auf die Inhalte kommt's an, auf die Ideen, die dahinter stecken. Helnwein selbst nennt sich "Konzeptkünstler", einer, der seine Idee mit entsprechenden Medien umzusetzen vermag: mit Malerei, Zeichnung, Fotografie, mit Bezug zum Theater, zur Performance, zur Skulptur.
Helnwein hebt seinen moralischen Zeigefinger wie Brecht, zeigt das absurde Theater der mit denen er die Welt eroberte, hat er plötzlich eine ganz besondere Vorliebe für den harmlos stillen Buntstift.
"Gezeichnet hab ich ja schon immer. Aber mit dem Buntstift ist es etwas ganz anderes. Jedes Bild ist ein Kampf, der Buntstift ist so langsam, die vielen Striche, die man machen muss. Denn die Gesellschaft schaut doch lieber weg."
Die Kunst kann ein Mittel sein, die Leute zum hinschauen zu kriegen.
"Die ästhetische Form macht's möglich.
Wenn das Kraft hat, dann müsste man eigentlich den erreichen, der von Kunst überhaupt keine Ahnung hat."
Helnwein packt die Ängste am Schlafittchen. Mit ganz allgemein Bildern der Gewalt, des Todes, der gescheiterten Hoffnungen. Aber immer wieder mit den Zeichen des Dritten Reichs, mit Schlagworten vom Untermenschen. Die Assoziationen werden unweigerlich in die Richtung gedrängt: Hitler, die Jüdin in der Gaskammer, Euthanasie, das Feldlazarett.
"Das Thema ist immer noch tabu, jedenfalls in Österreich. In Deutschland packt man das Problem ja schon ganz anders an, aber in Österreich passiert überhaupt nichts. Es ist einfach peinlich, darüber zu reden."
Dass das Thema zum Helnwein-Thema wird, ist klar.
"Ich will die Apathie aufbrechen, die spießbürgerliche Gesellschaft.
Ich bin ein Unruhestifter."
Gottfried Helnwein, Gespräch mit dem österreichischen Künstler anlässlich seiner Ausstellung in der Stuckvilla in München
12.Mar.1988 Tageszeitung München Claudia Jaeckel