Zeit Magazine, Nr. 36 – 1. September 1989
Kathleen Madden, 1989
MORD UND MODE
Für die amerikanische Designerin Kathleen Madden debütierte der Wiener Künstler Gottfried Helnwein als Modephotograph. Zehn Tage lang arrangierte er in New York - einzige Bedingung seines Auftrags - "typisch amerikanische" Situationen. Entstanden sind so Lichtbilder, die geheimnisvolle Geschichten erzählen.
Zum ersten Mal agierte der Wiener Künstler Gottfried Helnwein als Modephotograph.
"Mode-Krimi aus Manhattan"
Von marie Hüllenkremer und Gottfried Helnwein (Photos).
Der Maler Gottfried Helnwein entdeckte in sich ein neues Talent: die Ergebnisse verblüfften nicht nur seine amerikanische Auftraggeberin.
Für die amerikanische Designerin Kathleen Madden debütierte der Wiener Künstler Gottfried Helnwein als Modephotograph. Zehn Tage lang arrangierte er in New York - einzige Bedingung seines Auftrags - "typisch amerikanische" Situationen. Entstanden sind so Lichtbilder, die geheimnisvolle Geschichten erzählen.
Es wirkt wie ein gelungener Schnappschuß, ist jedoch sorgfältig inszeniert und Teil eines Portfolios mit insgesamt vierzehn Photos von Gottfried Helnwein und mit einem Vorwort von Norman Mailer.
Erst beim zweiten Besuch gelang Gottfried Helnwein dieses Photo, das in einem verrotteten Winkel des New Yorker Stadtteils Queens entstand. Beim ersten - gefahr-losen - Autobrand, den ein Spezialist auslöste, verjagten Polizisten das Aufnahmeteam, das sie für Banditen hielten.
Das Freilichtmuseum Intrepid am Hudson River in Manhattan ist die Kulisse für das dramatische Photo: Dort sind Kriegsflugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg auf einem alten Schlachtschiff ausgestellt. Typisch amerikanisch die Freiluft-Telephone.
Phototermin auf der Polizeistation von SoHo. Das Model wurde von einer Agentur vermittelt, die Polizisten sind echt, ebenso die Handschellen. Der Cop mit Kappe ist Mr.Hutter aus Brooklyn, Sohn waschechter Wiener Eltern und Sammler von Helnwein-Postern.
Die Handschellen sind so echt wie die Cops am Tresen, und dennoch ist dieser Kriminalfall inszeniert: Mit schönen Models, teuren Autos und special effects erzählt Gottfried Helnwein Modegeschichten made in USA. Die Idee zu der Photoserie (weitere von Clegg & Guttmann und David Hockney sollen folgen) stammt von Arvid Moorman. Er ist Produzent von Kathleen Madden, die sich mit lässig-sportlichen Entwürfen aus wiechen Stoffen und einer glitzernden Manhattan-Skyline als unverwechselbarem Signet einen Namen als Modedesignerin gemacht hat. Für den Wiener Künstler und Bürgerschreck Gottfried Helnwein ist der Auftrag eine Premiere: Zum ersten Mal arbeitet er als Modephotograph.
Wer seine Illustrationen und Plakate einmal gesehen hat, vergißt sie nicht. Ob da ein Männchen auf dem monströsen Unterleib einer Frau start (das Plakat für die Hamburger "Lulu"-Inszenierung von Peter Zadek brachte ihm eine Anzeige wegen Pornographie ein), oder ob er sich selbt als schreiender Mann mit bandagiertem Kopf portraitiert (ein Poster, das weltweit vertrieben wird): Gottfried Helnwein faszieniert ganz offensichtlich das Spiel mit dem Entsetzen.
In Ölfarbe, Blei oder Blut, mit Pinsel, Stift und Kamera, im Selbstexperiment oder mit seinen Kindern als Akteuren betreibt der Künstler seine gefährliche Gratwanderung, stets balancierend (und zuweilen abstürzend) zwischen geschmäcklerischer Wonne am Ekel und geschmackloser Lust an der Selbstdarstellung. Darin ist er durchaus seinem österreichischen Kollegen Arnulf Reiner verwandt oder Hermann Nitsch, dessen bevorzugtes Happening-Personal nackte Menschen und geschlachtete Tiere sind.
Seit den öden Wiener Kindergarten in einem engen, korrekten Elternhaus sehnt Gottfried Helnwein sich nach Aufregung. Chaos und Abenteuer - nicht nur in der Kunst, sondern auch im Leben. "Ohne Vorbereitungen" stürzte er sich deshalb in den New Yorker Auftrag: "Zu wenig Zeit, unlösbare Probleme, das brauche ich." Und da die einzige Bedingung für die Photos "typisch amerikanische" Situationen waren, erfüllte der 41 jährige sich gleich auch einen alten Traum:Krimi spielen.
Das Polizeirevier con SoHo in Manhattan, eine verkommene Ecke in Queens ("Es gibt kein Loch dort, in dem nicht Menschen leben"), das Militärmuseum Intrepid am Hudson River mit alten Kriegsflugzeugen auf einem ausgedienten Schlachtschiff - solche Schauplätze wählte der Photograph als Kulisse für seine duster-geheimnisvollen Aufnahmen. Und obwhol ein Laie in der Branche, liegt Helnwein damit ganz im internationalen Trend, Mode fast beiläufig einzubetten in Geschichten.
Helnweins Fazit nach dem Ausflug aufs unbekannte Terrain: "Nur einmal ist viel zu wenig." Zunächst allerdings bereitet er für Ende Oktober eine Ausstellung im Essener Folkwangmuseum vor, schreibt er mit dem DDR-Schriftsteller Heiner Müller ein Stück über den Theaterexzentriker Antonin Artraud, beschäftigen ihn die Bühnenbilder zu Carl Orff's "Carmina Burana" für die Bayerische Staatsoper in München.
Gottfried Helnwein, der mit seiner Frau, zugleich seine Managerin, und vier Kindern zwischen einer prächtigen Burg nahe dem Rhein und einem Wohnsitz im südlichen Florida pendelt, könnte sich "nie bis zum Lebendsenende wiederholen."
Daß er bei seinen Trips in neue Gebiete zuweilen dennoch Vertrautes entdeckt, erfuhr er in Manhattan: "Wie ein Wiener Hausmeister" hatte der dicke Polizist in SoHo auf ihn gewirkt - und entpuppte sich als Sohn Wiener Eltern. Nicht genug damit: Der Mann namens Hutter war begeisterter Sammler von Helnwein-Plakaten.