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WAZ, Nr. 255 – 31. Oktober 1989

WAZ, Nr. 255, 1989

DER MENSCH IN SEINEN QUALEN

von Manfred Krause

Das Essener Museum Folkwang zeigt Arbeiten des Fotorealisten Gottfried Helnwein
Es ist unmöglich, von Gottfried Helnwein nicht gefesselt zu sein. Vielleicht ist die Vokabel "schockiert" aber noch treffender. Denn die Bilder des Malers sind nur schwer zu ertragen und verlangen starke Nerven. Der Mensch in seinen leiblichen und seelischen Qualen, Verletzlichkeiten und Verstümmelungen tritt ungeschützt ins Blickfeld. Schnell entpuppt sich die oberflächliche Vermutung, daß da einer mit Entsetzten Scherz treibt, als falsch. Helnwein ist es bitter ernst, wie die Ausstellung von über 60 Arbeiten im Museum Folkwang Essen beweist, wenn er in die Abgründe menschlicher Existenz schauen läßt:

Die Ausnahmesituationen aus dem Alltag legen zerstörerische Energien frei, offenbaren Leiden, mehr durch eigenes Verschulden als durch höhere Gewalt verursacht. Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen Trivialem und Erhabenem und öffnen diabolischen Einflüssen Tür und Tor. Als Wiener Künstler, der seit Jahren in der Eifel und in den USA lebt und arbeitet, haftet seinen Motiven jene dämonisch morbide Mischung aus ersehnter Lebensfülle und latenter Todessehnsucht an.

Aus dieser Tradition, angereichert mit Elementen des Comicstrips und der Rock'n-Roll-Szene, erwachsen die suggestiven Kräfte, die mit große Magie dieser Bilder ausmachen. Bei allem Streben nach Wahrhaftigkeit überlagern sich zuweilen Schein und Wirklichkeit und lassen sie nur schwer voneinander trennen, weil der Harmlosigkeit ebenso wenig blind zu vertrauen ist wie der Brutalität.

Die Deformationen an Körper und Geist finden ihre realistische Bildsprache in beklemmenden Porträts sadistischer menschenverachtender Diktatoren und maskenhaft vermummter Unfallopfer. Häufig sind es Kinder, die in ihrer Unschuld von Gewalt bedroht werden.

Durch diese fotorealistischen Arbeiten, die schon durch ihre feine malerische Technik manche Irritationen hervorrufen, gelingen Helnwein provozierende Darstellungen. Gemischte Gefühle machen sich beim Betrachten des Meisterwerks "Sonntagskind" breit, das ein blindes kleines Mädchen mit fröhlich-keck herausgestreckter Zunge vor der idyllisch anmutenden Kulisse eines bunten Tante-Emma-Ladens zei
Helnwein, der durch Theaterplakate und -ausstattungen für Bühnen zwischen Hamburg und München für großes Aufsehen außerhalb von Galerien und Museen sorgte, handhabt die künstlerischen Stile wie ein Chamäleon. Im Gegensatz zu Gemälden, bei denen es schwerfällt, zwischen Malerei und Fotografie zu unterscheiden, greift er andererseits zu raffinierten Mitteln der Verfremdung, indem er das Papier mit farbigem Liniennetzwerk überzieht oder in anderen Fällen ganz von der Modulation menschlicher Gestalten abrückt.

Auf diese Weise hebt er in seinen jüngsten Arbeiten das Todes-Thema ins Monumentale. Von der Dichte der Aussage geht durch die sensible Abstufung von Hell- und Dunkelwerten nichts verloren, wenn auch großformatige Blätter wie "Batman stirbt", "Verbrannter Engel" oder "Modern Sleep" ihre Geheimnisse nicht auf Anhieb preisgeben.

31.Oct.1989 WAZ Manfred Krause