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Stuttgarter Zeitung – 15. Juni 2001

Bühnenbild und Kostüm für "Rake's Progress" von Strawinsky

ZIEHENDE WOLKEN

von Götz Thieme

Strawinskys Opere "The Rake's Progress" in Hamburg

Flimm gewann für Bühne uns Kostüme Gottfried Helnwein, der angeblich notorisch Drastik und Provokation sucht, zunächst aber ein ingeniöser Bildmacher ist. ein Maler, Grafiker und Fotograf. Das verbindet ihn mit William Hogarth, dem englischen Kupferstecher, dessen Bilderzyklen Strawinsky zur Oper inspirierten. Doch 250 Jahre später setzt Helnwein nicht bei Hogarth und seiner realistisch genauen Darstellung der Londoner Casinos, Lusthöllen und Irrenhäuser an.

Helnwein arrangiert eine magische Zeitlosigkeit durch präzise Rekostruktion konkreter Stile und zugleich fantasiegeborener Kreationen. Selten erlebte man die plastische Wirkungskraft von Kostümen so intensiv wie in Helnweins schiefem, nach rechts sich neigendem Kubusraum, in den zur Linken drei Türen eingelassen sind und dessen hellweisse Flächen immer wieder Bildprojektionen dienen, Kostüme und Bilder sind von ausgesuchtem Antipsychologismus, von entwaffnend stereotyper Symbolik, so wie Audens und Kallmans Text, wie Strawinskys Musik.

Zu entscheiden, ob Igor Strawinsky ein Russe mit amerikanischem Pass oder ein Amerikaner russischer Herkunft gewesen ist, scheint müßig - sein Leben und seine Musik waren kosmopolitisch. Für die Feier seines achtzigsten Geburtstages 1962 stellte das jedoch ein Problem dar. Um die Präsidenten Kennedy und Chruschtschow, die ihn aus diesem Anlass einluden, nicht zu brüskieren, folgte Strawinsky dem Rat von Rolf Liebermann und feierte - in Hamburg. Es wurde ein schönes Fest an der Staatsoper mit Ballett und einem Operngastspiel aus London: "The Rake's Progress", die einzige abendfüllende Oper des Komponisten.

Nun feiern Strawinsky und Hamburg wieder. Fünzig Jahre sind seit der Uraufführung der "Karriere eines Wüstlings" in Venedig vergangen, und der Regisseur Jürgen Flimm verbucht zwanzig Jahre als Opernregisseur. Hier am Ort gab er sein Debüt: einen skandal-umtoste Inszenierung von "Hoffmanns Erzählungen", die viel zu schnell abgesetzt wurde. Flimm kehrt an die Dammtorstraße zurück, und ein wenig ahnt man noch in dieser Arbeit, was er einst dem Musiktheater in Asterdam und Zürich hat geben können.

Hier ist es die Magie des Raumes, der zur Musik wird, Musik, die zum Raum wird; obwohl "The Rake's Progress", Strawinskys Abschiedswerk von der Neoklassik, wirkungsästhetisch kaum weiter entfernt von Wagners Tricksereien sein könnte, etwa dem "Parsifal", der solche Transformationen propagiert. Flimm gewann für Bühne und Kostüme Gottfried Helnwein, der angeblich notorisch Drastik und Provokation sucht, zunächst aber ein ingeniöser Bildmacher ist, ein Maler, Grafiker und Fotograf. Das verbindet ihn mit William Hogarth, dem englischen Kupferstecher, dessen Bilderzyklen Strawinsky zur Oper inspirierten. Doch 250 Jahre später setzt Helnwein nicht bei Hogarth und seiner realistisch-genauen Darstellung der Londoner Casinos, Lusthöllen und Irrenhäuser an.

Helnwein arrangiert eine magische Zeitlosigkeit durch präzise Rekostruktion konkreter Stile und zugleich fantasiegeborener Kreationen. Selten erlebt man die plastische Wirkungskraft von Kostümen so intensiv wie in Helnweins schiefem, nach rechts sich neigendem Kubusraum, in den zur Linken drei Türen eingelassen sind und dessen hellweisse Flächen immer wieder Bildprojektionen dienen, Kostüme und Bilder sind von ausgesuchtem Antipsychologismus, von entwaffnend stereotyper Symbolik, so wie Audens und Kallmans Text, wie Strawinskys Musik.

Ihnen gemeinsam ist die Kunstfertigkeit im Mikrokosmos. Nick Shadow, der Teufel, dem die Seele des Tom Rakewell für allerlei Reichtümer und Lustbefriedigungen nach einem Jahr zufallen soll, erscheint im eleganten magisch-roten Seidenanzug, die Füße umwehen Rauchschwaden, die auch stets sachte aus den Koffern dämpfeln, die er mit sich führt; Anne Truelove, Toms Braut, die dieser Tom schnell in London vergisst, ist zwischen Tulpen eine Unschuld vom Lande, eine hellblondes Provinzgretchen mit Schleife im Haar; ihr unförmig fetter Vater - der wunderbare Carl Schultz, seit 37 Jahren Ensemblemitglied - tapst in einem Knickerbockeranzug dem Unglück seiner Tochter hinterdrein.

Tom selbst, der ziel - und haltlose Weissnichtwarum , wandelt sich vom Gärtner zum Dandy. Er erinnert mit seinem zippeligen Bärtchen ein wenig an den "Alice in Wonderland" - Dichter Lewis Caroll. In der Stadt gerät Tom in eine Traumgesellschaft, begegnet Frauen in Rokokokrinolinen, ihren Glatzköpfigen Galanen in roter Lederkluft - überbreit ihre Schultern wie bei Rugbyspielern, den Baseballschläger parat - , er trifft auf Mother Goose (Renate Spingler), der ein grinsender Gänsekopf auf dem Haupte sitzt, und er heiratet dir Jahrmarktsattraktion Baba the Turk, die Feau mit dem langen Bart (Julia Juon mit Wagnerkraft in der Stimme).

Toms weg führt nicht zu Anne zurück. Der Teufel reizt seine Macht mit einer Letzten Kartenwette aus - und unterliegt Tom. Der kommt trotzdem nicht davon.

Nicks letzter Gruß, bevor er bühnenwirksam in die Hölle versinkt: Tom werde wahnsinnig. Im Irrenhaus sitzt er, sich für Adonis haltend, und ruft nach seiner Venus. Die findet ihn, aber Anne kann hier nichts mehr für Tom tun. Es ist das schönste und traurigste Bild der Hamburger Inszenierung: Ganz sacht haben sich die Wände in bewegung gesetzt, über die Wolken zogen, das Meer toste, die Vogelschwärme flogen, das Feuer brannte. Nun schweben sie im blauen Licht, nun löst sich aller Weltenhalt auf.

Trotzdem bleibt ein unbefriedigter Rest. Gebremste Spiellaune paart sich mit Schwächen in der Sängerbesetzung. Bruce Fowler als Tom besitzt eine feste, ein wenig Weiße und letzlich zu kleine Tenorstimme. In der mittellage kann er sich kaum gehör verschaffen, in den lezten Wahnsinnszenen ist der elegische Schmelz arg brüchig. Gabriele Rossmanith als Anne scheint beinahe ein wenig froh, dass sie Tom am Ende nicht helfen kann. Auch ihr fehlt der stimmliche Nachdruck für das große Haus - und die Farben, wie heute leider den meisten Opernsängern. Der teufelische Nick von David Pittsinger mag nicht sehr subtil sein, immerhin is Pittsinger ein präsenter Sänger und Darsteller.

Das ist recht schade, denn Ingo Metzmacher findet in Strawinskys Partitur das Objekt seiner gezirkelten, gespannten Motorik, eine Lakonik der Phrasierung, die hier stimmt - wogegen diese Lakonik bei seinem Wagner und Verdi manch großen Bogen zerschlägt. In erstklassiger Form folgen ihm besonders die Bläser des Staatsorchesters und erfreuen mit genau austarierter Balance der Stimmen, mit Zusammenspiel und rhythmischer Prägnanz. Bedauerlich, sollte - wie andeutungsweise zu hören ist - die Zusammenarbeit von GDM und Orchster durch Missstimmungen keine Zukunft haben. Musikalische Sensationen stellen sich nicht innerhalb von wenigen Saisons ein.