Castor und Pollux – April 25, 2010
Die Epiphanie Hitlers
Was mich an Gottfried Helnweins Kunst besonders reizt, ist, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Man kann sie mögen, man kann sich ihr abwenden, man kann jedoch nicht neutral bleiben: eine Eigenschaft, die man nicht oft findet. Umso erfreulicher war es, kürzlich einige seiner Werke wieder zu entdecken und sie aus einer ganz neuen Perspektive zu sehen.
Denn unter seinen vielen Arbeiten finden sich so manche, die ihr volle Wirkung erst dadurch erlangen, dass sie klassische Motive der Kunstgeschichte der aufgreifen und neu interpretieren bzw. adaptieren. Dazu gehört auch die dreiteilige Reihe „Epiphany“, die dem Titel nach die Erscheinung des Herrn, also die Ankunft der drei Weisen bzw. der heiligen drei Könige an der Krippe des Christuskinds darstellt. Dass Helnwein dabei schnell den konventionellen Weg verlässt, dürfte wohl klar sein…
Da wäre etwa „Epiphany I (Adoration of the Magi)“, der erste und wohl eindrucksvollste Part der dreiteiligen Serie. Vier Offiziere der Waffen-SS und Wehrmacht stehen um Mutter Aria, die ihren Sohn präsentiert. Es ist der kleine Hitler, der hier vor Selbstbewusstsein strotzend dem Betrachter in die Augen blickt. Er ist der Mittelpunkt des 333×210cm messenden Gemäldes: Alle Blicke, des Betrachters wie auch der Offiziere sind auf ihn geheftet. Sie beschauen sein entschlossenes Gesicht, sein Geschlecht, die Reinheit seines Geblüts und das seiner arisch-perfekten Mutter.
Wie er da trotzig vor ihnen steht, der König unter den Königen, ist er doch trotz der eigentümlich ruhigen Szene, der jener bittere Geschmack eines dunklen Kapitels der Weltgeschichte anhaftet, für den Betrachter immer noch die Fleischwerdung menschlicher Abgründe, die Geburt des perfiden Bösen. Um so beunruhigender, dass Helnwein das Jahrhunderte alte Motiv der Epiphanias aufgreift, um uns diesen Aspekt klar zu machen.
Man kann vielleicht mit etwas Anstrengung eine Anspielung auf die Rolle der Kirche in Nazideutschland explorieren oder den Zusammenhang zu Helnweins Kinderportraits sehen, doch finde ich die Adaptation und Trahierung jenes kunsthistorisch so bedeutsamen Motivs wesentlich interessanter. „Adoration of the Magi“, wie die Anbetung der Könige im Englischen heißt, steht dabei analog für die deutsche Gesellschaft am Ende der Weimarer Republik sowie für die seit vielen Jahrzehnten gärenden nationalistischen, anti-semitischen, völkischen und sozialdarwinistischen Strömungen, denen mit Hitler eine messianische Figur gegeben wurde, die all ihre geheimen wie offenkundigen Wünsche und Forderungen in sich vereinte.
Da stehen sie, die Prototypen der deutschen Ideologie vom Januar 1933, und beäugen ihren eben geborenen, schon zu großen Taten bereiten Heiland. Sie bringen ihm keine Gaben, kein Weihrauch, Myrrhe und Gold (die Geschenke an einen Gott, Menschen und König), das ist auch nicht nötig, denn er gibt ihnen schon genug: Macht, Hass und Verderben.
Da erscheint „Epiphany II (Adoration of the shepherds)“ schon ganz anders. Die Mutter wirkt hier weniger arisch, der kleine Hitler (zweifelsohne ist auch hier Hitler gemeint) weniger selbstbewusst und kühn und statt der Könige sind es hier die Hirten, die das Kindlein anbeten. Traten die Offiziere dem Kind recht verhalten gegenüber, macht das Volk in „Epiphany II“ aus seiner Begeisterung für den kleinen Hitler keinen Hehl. Man sieht sie lachen, grinsen, aufmerksam auf die nächste Drolligkeit warten – kurzum: statt der würdigen Anbetung der Könige dominiert hier die leidenschaftliche Anbetung der Hirten.
Die künstlerische Darstellung jener Ikonisierung Hitlers im Dritten Reich ist nicht zu verfehlen. Auch die Blicke des deutschen Volks sind fest auf den Polit-Superstar geheftet, wenngleich diese weniger kritisch und musternd ihren Führer sehen und der mit allerhand kindischer Naivität und süßem Gegluckse ihre Herzen im Sturm erobert.
Der Fingerzeig des Umschwärmten geht zum wohlgesonnen lächelnden HJ-Fähnleinführer: „Für dich bin ich gekommen, dich will ich von den europäischen Fesseln befreien, die dir einst auferlegt wurden, dich will ich wieder zu Ruhm und Ehre führen.“ Aber auch: „Dich brauche ich, ohne dich geht es nicht, mein Schicksal soll auch deins sein.“
Und er willigt ein. Noch ehe das letzte Wort gesprochen, noch ehe das Ansinnen des kleinen Wonneproppen klar ist, geht der junge Deutsche ganz in Entzückung auf.
Gottfried Helnwein begeistert mich immer wieder aufs Neue. Seine unkonventionelle, direkte Bildsprache, sowie die Verarbeitung seiner Hauptthemen, nämlich verletzter Kinder und des Nationalsozialismus, ziehen mich immer wieder in ihren Bann. Das trifft in besonderem Maße auf die obigen Epiphanien, aber auch auf Werke wie „Neunter November Nacht“ zu.
„Epiphany I (Adoration of the Magi)“ und „Epiphany II (Adoration of the shepherds)“ heben sich dabei insofern von seinen anderen Werken ab, dass sie offen mit Motiven spielen, die einen hohen kunsthistorischen Stellenwert besitzen. Sie greifen Symbolik und Komposition christlicher Heilandsdarstellungen auf und transferieren sie auf den neuen Heiland einer gottlosen Zeit. Dabei entsteht ein verzerrtes Bild, das gleichermaßen Assoziationen von etwas Gutem wie etwas Bösem weckt und dadurch einen besonderen künstlerischen Reiz erhält.
Zwar existiert auch noch ein dritter Teil, „Epiphany III (Presentation at the temple)“, dieser scheint aber inhaltlich nichts mit seinen beiden Vorgängern zu tun zu haben, zeigt es doch ein totes Mädchen umringt von zehn entstellten Figuren.
Die Epiphanie Hitlers
G. Helnweins Referenz an kunsthistorische Evergreens